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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Perfall, Anton von: Unter dem Schlapphute!, [1]: Novelle aus dem Künstlerleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0022

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Unter dem Schlapxhute!


Jahre waren vergangen in rastloser Arbeit, aus dem
Träumer war ein tüchtiger Künstler geworden. Der braune
Schlapphut, welcher unter Juleis Händen die willkür-
lichsten Formen annahm, jeder herrschenden Mode Hohn
sprach, der von den jüngeren Kollegen als ein längst
abgedanktes Standesabzeichcn geradezu perhorresciert
wurde, war keine bloße Marotte, sondern der innerste
Ausdruck seines jungen Wesens.

„Selbst ist der Mann." —

Mit diesem Wahlspruch kam er
jedoch, trotz des gegenteiligen An-
scheines, zur Unrechten Zeit.

Der Drang nach Gruppen-
bildung, nach engerem Partei-
anschluß, welcher im wirtschaftlichen
und politischen Leben sich immer
mehr geltend machte, hatte auch die
Kunstwelt ergriffen und zwar waren
die Gründe auf beiden Gebieten
dieselben. Die allgemeine tastende
Unsicherheit in dem Streben nach
völlig neuen Zielen, eine gewisse
Verzweiflung an der eigenen Per-
sönlichkeit inmitten der allgemeinen
Ratlosigkeit, da und dort.

Das „Selbst ist der Mann"
war abhanden gekommen. Daß aber
die Kunst mehr wie irgend eine
andere Lebensbethütigung dieses
Spruches vor allem bedarf, mit
ihm fällt und steht, war dem Jüng-
ling völlig klar.

So stand er von Anfang an
ziemlich isoliert und bekam, da es
nun einmal ohne Klassifizierung
nicht abging, den Titel eines
„Wilden", zu dem ja, wie einige
Spötter meinten, der Kopfschmuck,
den er trug, ganz gut Paßte.

Wilde gehören aber nicht in
die Stadt, sondern in die Wildnis.

Kaum daß der Schnee schmolz,
floh er jährlich in seine alte Mühle,
am grauen Felsen angclehnt, mit
ihrem schweren bemoosten Rad an
dem geschwätzigen Bach, zu dem
stocktauben Müller, dieses treu be-
wahrte Symbol seiner Heimat, mit
dem das bißchen Liebe in Verbin-
dung stand, das er als Kind genoß.

Und sie paßten vortrefflich zu-
sammen die Mühle mit ihrem alten Gang, ihrem ächzen-
den Schaufelrad, unbekümmert um alle Einrichtungen
und Errungenschaften der Neuzeit, traumverloren, selbst
ein Stück Natur, der taube Müller, an dem die Zeit
achtlos vorüberrauschte und der weltflüchtige Maler niit
seinen altmodischen Anschauungen und seinem schlichten
Empfinden.

Es war wieder einmal Herbst, ein sonniger Oktobertag.

Julei rastete von der Arbeit unter den lichterloh
flammenden Buchen auf dem frisch gefallenen, nach köst-
lichem Wein riechenden Laub.

Der braune Schlapphut nahm sich, mit Farrenkraut

und Thimian geschmückt, wie ein riesiger Pilz aus, an
der aufgestülpten Seite steckte ein farbenprächtiger Käfer
wie eine Kokarde.

Der Nebel kam gezogen, die glühenden Farben
erloschen.

Es fröstelte ihn und er Packte seine Sachen zusamr
Da schreckte ihn ein jäher Aufschrei.

Er wandte sich betroffen, und
erblickte ein junges Mädchen, wel-
ches hinter einer Buche hervor-
tretend, ihn erschreckt anblickte.

Er nahm den Schlapphut ab,
— da näherte sie sich zaghaft.

„Ich möchte Sie nur um den
Weg zur Bahnstation fragen —
wir haben uns ganz verirrt im
Wald." — Dann rief sie von Angst
gepackt, gellend: „Papa! Papa!"
Julei ging ihr entgegen.

„Ich glaube gar, Sie fürchten
sich? Sehe ich denn so schrecklich
aus?" sagte er, den Schlapphut in
der Hand.

Das Mädchen sah ihn jetzt
Prüfend an.

„Allerdings, jetzt nicht mehr, es
war nur der schreckliche Hut —."

Julei lachte, seinen alten Freund
in der Hand drehend.

„Beruhigen Sie sich, ich bin
ein ganz harmloser Mensch. Hier
meine Kassette, das Bild weisen
mich genügend aus. Aber jetzt
wollen wir den Papa rufen —."

Und er schrie mit dem Mäd-
chen um die Wette: „Papa! Papa!"
daß es durch den Wald schallte und
die Fremde zuletzt selber hellauf
lachen mußte.

Da kam er endlich herangewankt.
Ein kleiner behäbiger Herr, in tadel-
losem Schwarz gekleidet, einen Cy-
linder auf dem Kopfe, schweiß-
triefend, atemlos. Als er den Maler
erblickte, welcher den schrecklichen
Hut wieder aufgesetzt, stutzte er.
„Frida, wie kommst du nur —."
Das Mädchen klärte ihn rasch auf.
„Der Herr ist Maler und so
freundlich, uns den rechten Weg
zu zeigen."

„Maler?" sagte mißtrauisch der Herr.

„Julei Märiens!" stellte sich dieser vor.
„Uebrigens, was die Station betrifft, so werden Sie
diese schwerlich mehr vor Dunkelwerden erreichen. Sie haben
sich arg vergangen, und mindestens zwei Stunden bis dahin."
Der Herr brach in lautes Wehklagen aus.

„Wer denkt auch daran, in nächster Nähe der Stadt,
in einem zivilisierten Lande, einen solchen Urwald an-
zutreffen. Aber was sollen wir thun?"

„Wenn Sie mit einem einfachen Nachtquartier vor-
lieb nehmen wollen. Eine Viertelstunde von hier liegt
meine Mühle."
 
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