Entwurf für eines der Bildwerke in der Sieges-Allce zu Berlin:
Markgraf Waldemar.
Berliner Bildhauer.
von Iaro Springer.
ist häufig genug gesagt worden, daß in Berlin die Bildhauerkunst länger heimisch ist, als die Malerei,
daß sie stetiger als diese hier gewachsen ist und einmütiger als die Schwesterkunst Anerkennung gefunden
hat. Eine Berlinische Kunstgeschichte giebt es doch wohl erst seit etwa hundert Jahren. In ihr aber ist nur
das Kapitel von der Plastik in durchweg sreundlichem Ton zu schreiben. Gelegenheit zur plastischen Bethütigung
gab es für den Berliner Bildhauer am Anfänge und am Ende dieses Jahrhunderts, das wir gerade noch das
unsere nennen können, in Menge. Was nach den Freiheitskriegen an Statuen in Berlin öffentlich aufgestellt
wurde, bestimmt eigentlich noch heute die Monumentenwelt Berlins. Unser letzter Krieg und seine politischen
Folgen gab und giebt noch heute die Veranlassung zu unzähligen Denkmälern. Stehen auch sehr wenige in
Berlin, so kam durch sie doch in alle Berliner Bildhauerateliers lange und lohnende Arbeit. Aber nicht die
Gelegenheiten allein machten die Berliner Bildhauerschule. Die Natur des Berliners ist für die Plastik gut
vorgestimmt. Als einen Extrakt aus dem Märkischen und Preußischen wird man das Berlinische bezeichnen
dürfen, ihm ist die sinnliche Anschauungsweise besonders zu eigen. Die Berlinischen Dichter aus alter und
neuer Zeit können es beweisen. Fein und geistvoll giebt sich ein leiser sinnlicher Zug bei Theodor Fontane,
ganz gröblich bei Heinz Tovote zu erkennen. Die Plastik ist die sinnlichste Kunst. Spricht sie doch zu zwei
Sinnen. Reiz und Bedeutung des Bildwerkes werden nur dem offenbar, dem es auch den Tastsinn anregt.
Der reinen Formenfreude wird in den römischen Elegien der bekannte Ausdruck gegeben:
Und belehr' ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh' ich den Marmor erst recht; ich denk' und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug', fühle mit sehender Hand.
Unter der „fingernden Hand" werden die Formen der glatten Bronze lebendig und den leise gleitenden
Fingern verrät der kühle Marmor reizvolle Geheimnisse. Wer so Plastik empfindet, dem wird die Sandstein-
skulptur immer als ganz minderwertige Steinmetzkunst erscheinen und bei ihrem Anblick wird er ein unangenehmes
kratzendes Gefühl in den Fingerspitzen verspüren. Und dem Gipsabguß erst, der dem Auge und der Hand
schmerzlich ist, wwd er weit ausweichen. Ein verstorbener, sehr gefeierter Archäolog dachte darüber
anders. Ihm war eine Vorstellung von der doppelten Sprache der Skulptur gekommen und um seinen
Schülern das feinere Verständnis der klassischen Formen zu vermitteln, forderte er sie auf, die Abgüsfe seines
Gipsmuseums zu befingern. Ich habe seitdem den gipsfreudigen Professor nie mehr als den feinsinnigen
Kenner der Plastik, wofür er galt, halten können. Denn dem Kunstverwöhnten ist das Betasten des staubigen,
rauhen Gipses ein Greuel. Die herrlichen Glieder einer Venus erscheinen ihm im Gips wie durch wollene
Unterhosen entstellt und er fühlt unter der rauhen bergenden Hülle die Formen gar nicht.
Die Kunst für Alle XIV, 2. 15. Oktober 1898.
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Markgraf Waldemar.
Berliner Bildhauer.
von Iaro Springer.
ist häufig genug gesagt worden, daß in Berlin die Bildhauerkunst länger heimisch ist, als die Malerei,
daß sie stetiger als diese hier gewachsen ist und einmütiger als die Schwesterkunst Anerkennung gefunden
hat. Eine Berlinische Kunstgeschichte giebt es doch wohl erst seit etwa hundert Jahren. In ihr aber ist nur
das Kapitel von der Plastik in durchweg sreundlichem Ton zu schreiben. Gelegenheit zur plastischen Bethütigung
gab es für den Berliner Bildhauer am Anfänge und am Ende dieses Jahrhunderts, das wir gerade noch das
unsere nennen können, in Menge. Was nach den Freiheitskriegen an Statuen in Berlin öffentlich aufgestellt
wurde, bestimmt eigentlich noch heute die Monumentenwelt Berlins. Unser letzter Krieg und seine politischen
Folgen gab und giebt noch heute die Veranlassung zu unzähligen Denkmälern. Stehen auch sehr wenige in
Berlin, so kam durch sie doch in alle Berliner Bildhauerateliers lange und lohnende Arbeit. Aber nicht die
Gelegenheiten allein machten die Berliner Bildhauerschule. Die Natur des Berliners ist für die Plastik gut
vorgestimmt. Als einen Extrakt aus dem Märkischen und Preußischen wird man das Berlinische bezeichnen
dürfen, ihm ist die sinnliche Anschauungsweise besonders zu eigen. Die Berlinischen Dichter aus alter und
neuer Zeit können es beweisen. Fein und geistvoll giebt sich ein leiser sinnlicher Zug bei Theodor Fontane,
ganz gröblich bei Heinz Tovote zu erkennen. Die Plastik ist die sinnlichste Kunst. Spricht sie doch zu zwei
Sinnen. Reiz und Bedeutung des Bildwerkes werden nur dem offenbar, dem es auch den Tastsinn anregt.
Der reinen Formenfreude wird in den römischen Elegien der bekannte Ausdruck gegeben:
Und belehr' ich mich nicht, indem ich des lieblichen Busens
Formen spähe, die Hand leite die Hüften hinab?
Dann versteh' ich den Marmor erst recht; ich denk' und vergleiche,
Sehe mit fühlendem Aug', fühle mit sehender Hand.
Unter der „fingernden Hand" werden die Formen der glatten Bronze lebendig und den leise gleitenden
Fingern verrät der kühle Marmor reizvolle Geheimnisse. Wer so Plastik empfindet, dem wird die Sandstein-
skulptur immer als ganz minderwertige Steinmetzkunst erscheinen und bei ihrem Anblick wird er ein unangenehmes
kratzendes Gefühl in den Fingerspitzen verspüren. Und dem Gipsabguß erst, der dem Auge und der Hand
schmerzlich ist, wwd er weit ausweichen. Ein verstorbener, sehr gefeierter Archäolog dachte darüber
anders. Ihm war eine Vorstellung von der doppelten Sprache der Skulptur gekommen und um seinen
Schülern das feinere Verständnis der klassischen Formen zu vermitteln, forderte er sie auf, die Abgüsfe seines
Gipsmuseums zu befingern. Ich habe seitdem den gipsfreudigen Professor nie mehr als den feinsinnigen
Kenner der Plastik, wofür er galt, halten können. Denn dem Kunstverwöhnten ist das Betasten des staubigen,
rauhen Gipses ein Greuel. Die herrlichen Glieder einer Venus erscheinen ihm im Gips wie durch wollene
Unterhosen entstellt und er fühlt unter der rauhen bergenden Hülle die Formen gar nicht.
Die Kunst für Alle XIV, 2. 15. Oktober 1898.
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