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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Lange, Konrad von: Realismus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0091

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jingerbakler.



üeaWmuF.

von Prof. vr. Lonrad Lange.

(Fortsetzung a. d. vor. Hefte.)

H^eberhaupt bin ich der Ansicht, daß jede Kunst ein ihr spezifisches Gebiet des Gefühlslebens hat, aus
^ dem sie sich nicht herausdrängen, das sie sich nicht streitig machen lassen sollte. Hat doch der liebe
Gott den Menschen offenbar nur deshalb statt einer Kunst mehrere gegeben, damit sie sich jeder einzelnen von
ihnen nach Maßgabe ihrer besonderen Ausdrucksfähigkeit bedienen und an ihren Werken freuen sollen.
Menschen, die in erster Linie das Bedürfnis haben, anderen ihre innersten Gefühle zu offenbaren, sie an
ihrem Leid, ihrer Freude teilnehmen zu lassen, werden sich dazu, wenn sie normal organisiert sind und eine
hrer Begabung entsprechende Erziehung genossen haben, ohne Zweifel der Musik oder Lyrik bedienen. Menschen,
die einen inneren Drang zu rhythmischen Körperbewegungen und zur Schaustellung ihrer Person haben, werden
sich dem künstlerischen Tanze widmen, Menschen, die ein besonders feines Verständnis für die Symbolik der
Linien und Farben haben, werden ihrem künstlerischen Drang am besten im Ornament, dieser sichtbaren Musik,
dieser Kunst der latenten Bewegung Genüge thun. Wer aber durch seine Begabung befähigt ist, mit frischem,
offenem Blick in die Natur zu schauen, sich an allem, was sie bietet, auch dem Kleinsten und scheinbar Un-
bedeutendsten zu freuen, jedem Baum, jeder Pflanze, jedem Tier seine charakteristischen Formen und Farben, sein
geheimnisvolles Leben abzulauschen, der wird naturgemäß Maler werden. Es ist Raum genug im Reiche der
Künste für Geister jeden Schlages. Im Hause der Kunst sind viele Wohnungen. Wozu einander den Platz
streitig machen, wozu die Grenzen zwischen den Wohnungen mit Bewußtsein verwischen und mit Gewalt in der
einen Kunst das anstreben, was die andere ihrer Natur nach viel besser leisten kann? Ist es nicht ebenso ein
Zeichen verfehlter Begabung, wenn man ein Bild wie ein Ornament behandelt, wie es ein Zeichen stilistischer
Verirrung ist, wenn man einen natürlich gemalten Blumenstrauß als Ornament verwendet, wenn man musikalische
Werke „malt", ein Drama „tanzt" oder eine Statue „singt"? Lessing hatte doch nicht so ganz unrecht, als
er zwischen den Künsten bestimmte Grenzen absteckte, und wenn er auch sonst in vieler Beziehung geirrt hat
und unseren Jüngsten überdies viel zu nüchtern ist, so sind doch solche scharfe und nüchterne Köpfe, die sich
kein X für ein U vormachen lassen, heutzutage für unsere Kunst nötiger als die Mystiker und Wonnesäusler
der Kunstgeschichte und Aesthetik, die in die Kunstwerke alles mögliche und unmögliche hineinsehen und sich an
ihren eigenen Phrasen berauschen, über die jeder wahre Künstler nur lachen kann.

Den idealisierenden Tendenzen steht nun diejenige Auffassung der Malerei gegenüber, die es für die
Aufgabe des Malers hält, die Natur darzustellen wie sie ist, d. h. wie sie ihm erscheint, und zwar mit dem
Zweck, durch diese Darstellung in erster Linie eine Illusion, d. h. den Eindruck der Natur zu erzeugen. Und

Die Aunst für Alle XIV, S. f. Dezember 1898.

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