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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Woermann, Karl: Goethe in der Dresdner Galerie, [1]
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Goethe in der VreFdner Galerie.

von Rarl woermann.

„Ehursachsen"
spielte bekannt-
lich im vorigenJahr-
hundert in manchen
Beziehungen, beson-
dersin künstlerischen
Dingen, eine Haupt-
rolle im geistigen
Leben Deutschlands.
Leipzig war schon
damals das kleine
Paris, das seine
Leute bildete. Dres-
den war schon da-
mals das Elb-
florenz, das jeder
gesehen haben mußte,
der nördlich der
Alpen über Kunst
mitreden wollte. Die
künstlerische Saat,
die hier durch die
Die Frauenkirche zu Dresden. Errichtung von

Prachtbauten, wie
Pöppelmanns Zwinger, Bährs Frauenkirche, Chiaveris
katholische Hofkirche, durch den Ankauf der Chigischen
und Albanischen Antiken in Rom und ihre Aufstellung
im Palais des Großen Gartens, vor allen Dingen
aber durch die Jahr für Jahr in unabsehbaren Zügen
erneute Zufuhr der besten Gemälde aller Zeiten und
Völker in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahr-
hunderts ausgestreut worden war, trug in dessen
zweiter Hälfte reichliche Früchte. Eine Reihe der nam-
haftesten deutschen Maler jener Zeit, wie die beiden
Mengs, Dietrich, Oeser, Thiele, Grast, Ehr. Leb. Vogel,
die sich namhaften nach Dresden berufenen Ausländern,
wie den Franzosen Silvestre und Hutin, den Italienern
Canaletto und Casanova anschlossen, lebten und wirkten
ganz oder doch zeitweise in Dresden; und die einfluß-
reichsten deutschen Kunstgelehrten jener Tage, die, weil
ihre Ansichten auf dem Boden lebendiger Anschauung
erwachsen waren, die ersten in der ganzen Welt mit
Ehren genannten deutschen Kunstgelehrten wurden, hatten
sich ihre Kenntnisse und ihre Begeisterung in den Dres-
dener Sammlungen geholt. Der Lübecker Heinecken, der
Verfasser der „Nachrichten von Künstlern und Kunst-
sachen", der Dresdner Anton Raphael Mengs, der als
Kunstschriftsteller dieselben eklektischen Grundsätze verfocht,
denen er als Maler Fleisch und Blut verliehen, vor
allen Dingen der „preußische Grieche" Winckelmann, der
Schöpfer der wissenschaftlichen Kunstgeschichte, der Erfinder
des geflügelten Wortes von der stillen Größe und edlen
Einfalt, die er der griechischen Kunst zuschrieb und von
jeder Kunst verlangte, die alle waren teils nach Dresden
übergesiedelt, teils von Dresden ausgegangen und blieben
auf die eine oder die andere Weise ihr Leben lang mit
der sächsischen Hauptstadt verbunden. War Winckelmanns
damals bahnbrechendes Werk, seine „Gedanken über die
Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und

Bildhauerkunst" doch schon 1755, war das große Haupt-
werk seines Lebens, die Geschichte der Kunst des Alter-
tums doch zuerst 1764 in Dresden erschienen. „Dresden",
schrieb er, „wird nunmehr Athen für die Künstler".

Und im März 1768, wie neuerdings nachgewiesen
worden, traf der junge Goethe zum erstenmale in Dresden
ein; und die wenigen Tage seines ersten Aufenthalts im
neuen Athen an der Elbe waren, wie er selbst erzählt,
ausschließlich der Gemäldegalerie gewidmet. Goethe, der
damals bekanntlich in Leipzig studierte, war widerwillig
nach Sachsen gegangen. Seine Neigung hatte ihn nach
Göttingen gezogen. Aber sein kunstfreundlicher Vater,
dessen Gesamtbild, auch nur aus „Wahrheit und Dich-
tung" herausgeschält, mir in seiner Eigenart frischer und
bedeutsamer erscheinen will als es in der Regel gezeichnet
wird, hatte ihm nun einmal die kursächsische Universitäts-
stadt ausgewählt. „Mein Vater", erzählt Goethe, „blieb
unbeweglich. Was auch einige Hausfreunde, die meiner
Meinung waren, auf ihn einzuwirken suchten; er bestand
daraus, daß ich nach Leipzig gehen müsse".

Was aus Goethe geworden wäre, wenn er damals,
anstatt nach Leipzig, nach Göttingen gegangen wäre,
kann als müßige
Frage erscheinen.

Aber aus der Be-
antwortung müßig
erscheinenderFragen
besteht ein gutes
Stück der Geistes-
geschichte der
Menschheit. Jeden-
falls hätte er in
Göttingen nicht zu
den Füßen Oesers
sitzen können, der,
nachdem er beinahe
ein Vierteljahrhun-
dert in Dresden ge-
wirkt hatte, hier so-
gar Winckelmanns
Lehrer gewesen war,
erst einige Jahre vor
Goethes Ankunft in
Leipzig, ganz von Dresdner Kunstlust erfüllt, als
Akademiedirektor von der Elbe an die Pleisse übergesiedelt
war; und jedenfalls hätte Goethe, wenn er nach Göttingen
gegangen wäre, die Dresdner Galerie so bald nicht zu
sehen bekommen, die Dresdner Galerie, die später sozu-
sagen ein Stück an ihm selbst wurde, da er so oft in
sie zurückkehrte, wie das Schicksal es ihm vergönnte.

Goethe und die Dresdner Galerie! Wer beide liebt,
wird sich unwillkürlich die Frage vorlegen, was sie von
einander gehabt haben, was sie einander gewesen sind.
Wollen wir versuchen, diese Frage — freilich vielleicht
auch eine müßige, hoffentlich aber keine langweilige
Frage — zu beantworten, so müssen wir uns zunächst
kurz vergegenwärtigen, in welcher Verfassung sie einander
kennen lernten. Wie sah es in der Dresdner Galerie
und wie sah es in Goethe, sah es in seinem Kunst-


Die Kunst für Alle XIV, 14. 15. April 1899-

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