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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Keyssner, Gustav: Russische Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0097

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Russische Bilder.



Russische Bilder.

von G. Leyßner.

as wir in Deutschland und speziell in München,
der Hauptstätte internationaler Kunstausstellungen,
bisher von russischer Kunst zu sehen bekommen hatten,
war nicht viel und ließ auch kein allzugroßes Bedauern
darüber aufkommen, daß es nicht mehr war. Der Bild-
hauer Antokolski und der Maler Repin, das waren (von
Wereschtschagin natürlich abgesehen) vielleicht die beiden
einzigen Künstler des zeitgenössischen Rußland, von deren
Persönlichkeit man sich ein klares Bild eingeprägt hatte.
Repins berühmte „Antwort der Kosaken", vor ein paar
Jahren im Glaspalast ausgestellt (Abb. i. H. 1 d. 11. I.),
gehört in der That zu den Werken, die man nicht so
leicht wieder vergißt, wenn man sich auch dabei bewußt
bleibt, daß die derbe Kraft und der barbarische Humor
der Einzelschilderung die Wirkung des Bildes ausmachten,
nicht einheitlich malerische Konzeption und Vertiefung.
Diese letzteren Vorzüge finden sich vielleicht in höherem
Maße auf dem hier abgcbildeten „Rekrutenabschied", der
in diesem Jahr in Wien zu sehen war. Hier ist das
Seelische mit Empfindung, aber ohne Sentimentalität
geschildert, und die schöne Gliederung der Gruppen durch
das in der Mitte oben hereinfallende Licht giebt dem
äußern Vorgang einen künstlerischen Zug, der ihn weit
über die Sphäre des anekdotischen Genrebilds hinaushebt.

In München selbst war Repin weder im vorigen,
noch in diesem Jahr vertreten. 1897 vermißte man ihn
wirklich; denn das Ensemble seiner Landsleute, das sich

den Besuchern der siebenten „Internationalen" darstellte,
war nicht gerade glänzend zu nennen. Die Moskauer
Akademie, wenn ich nicht irre, hatte die Auswahl der
russischen Bilder getroffen und mit großer Umsicht sich
bemüht, uns Westeuropäern klar zu machen, daß auch im
heiligen Rußland manchmal nüchterne, temperamentlose
Landschaften und philiströse Genrebilder gemalt werden.
Einzelnes, wie Sawitzkis „Im Gerichtssaal", zeigte einen
naiven und ehrlichen Wirklichkeitssinn, der sich auf der
Reproduktion des genannten Bildes, wo uns das harte
geistlose Kolorit nicht mehr stört, gar nicht unsympathisch
präsentiert. -— Aber man war doch etwas verwundert, daß
ein Volk, dem die europäische Littcratur den grandiosen
und völlig eigenartigen Realismus Dostojewskis und
Tolstois (des Tolstoi der früheren Jahre selbstverständlich)
verdankt, sich in der Malerei nicht gleichfalls zu einem
wirklich künstlerischen, d. h. individuellen Realismus sollte
erheben können. Heute wissen wir, daß es mindestens
auf dem Weg zu einer solchen Erhebung ist, und diese
Wissenschaft verdanken wir der Kollektion russischer und
Mischer Werke, die, von Herrn Diaghilew in Petersburg
zusammengestellt, im Mai und Juni dieses Jahres die
erste Ausstellung der Münchner „Secession" in ihrem
neuen Heim am Königsplatz schmücken half und unlängst
in Berlin sich aufhielt, wo sie gleichfalls das lebhafte
Interesse der Kunstfreunde wachgerufen hat.

Ich sage: „gleichfalls" ; denn in München hat man,
 
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