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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Lange, Konrad von: Realismus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0096

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Von Prof. vr. Uonrad Lange.

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Zunächst steht er in einem Gegensatz zum Idealismus, insofern er nur solche Veränderungen der
Statur vorschreibt, die im Wesen der Kunst als solcher begründet sind. DaS ist nun aber nicht so zu ver-
stehen, als ob er jede Abweichung von der Natur verböte. Im Gegenteil, es ist dem Dichter vollkommen un-
benommen, im Drama eine gewisse Weltanschauung zu verkörpern und dem entsprechend das Leben, das er nach-
ahmt, in dieser Richtung zuzustutzen. Es ist dem Maler vollkommen unbenommen, die Formen und Farben,
die die Natur bietet, im Sinne seines Persönlichen Schönheitsideals oder einer subjektiven lyrischen Stimmung
abzuändern. Nur zweierlei darf er nicht: Erstens den Boden der Statur, d. h. des in der Natur Möglichen
und Wahrscheinlichen verlassen, und zweitens aus diesen Veränderungen ein Gesetz machen, nach dem sich nun
auch jeder andere Künstler zu richten hätte. Das ist die Art, wie ich die individuelle Freiheit des Künstlers
verstehe. Ich halte es für eine unberechtigte Beschränkung des Künstlers, wenn man ihm sagt: Du kannst'
ja allerdings die Natur, so wie sie dir erscheint, nachahmen, das ist aber eine untergeordnete Richtung der
Kunst, die höhere besteht in der Abänderung der Natur nach den angedeuteten Richtungen hin. Eine gesunde
Aesthetik wird vielmehr nur den Satz aufstellen, daß die Abänderung, Steigerung und Stilisierung der Natur
dem persönlichen Belieben, der besonderen Geistesrichtung des Künstlers überlassen bleiben muß, als Gesetz da-
gegen nur das proklamiert werden darf, was von jeder Kunst ohne Ausnahme zu verlangen ist, nämlich die
Wahrheit und innere Glaubwürdigkeit der Darstellung unter Berücksichtigung der aus dem Wesen der Kunst sich
ergebenden Darstellungsgesetze. In diesem Sinne würde es z. B. die Aufgabe der Tragödie sein, weder eine
optimistische noch eine pessimistische, weder eine altruistische noch eine individualistische Weltanschauung zu predigen,
sondern das Leben einfach so zu schildern, wie es ist oder sein kann, mit anderen Worten, uns interessante
Menschenschicksale in der verhältnismäßig kurzen Zeit weniger Stunden glaubwürdig und innerlich wahrscheinlich,
vor allem auch den Bedingungen der Bühne entsprechend vor Augen zu führen. Je wahrer, psychologisch
richtiger, intimer und kräftiger sie das Leben schildert, menschliche Leidenschaften, menschliches Leid, menschliche
Freude an uns vorüberziehen läßt, umso stärker, umso schöner würde sie sein, umso unmittelbarer würde sie
uns packen.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)







wiedergesunden.
 
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