Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899
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Relling, J.: Berliner Brief
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Berliner Brief.
2?
Straßenbild gekommen ist. Und er hat das Recht, laut
zu schelten, wenn ohne Zwang ein altes ausreichendes
Haus fällt, nur um einem neuen Prunkbau Platz zu
machen. Ohne zwingenden Grund wurde das schöne
Herrenhaus in der Leipzigerstraße zum Einreißen be-
stimmt, ein vornehmer Bau des vorigen Jahrhunderts
von wohlthuendster Einfachheit, in der Leipzigerstraße,
so nahe der frechen Wertheimfassade, ein künstlerischer
Ruhepunkt für die suchenden Augen. Die Verhältnisse
des alten Baues schienen der vornehmen Körperschaft, die
er beherbergt, so ganz zu entsprechen. Und daß etwas
Minderwertiges an seine Stelle tritt, davon muß man
leider überzeugt sein. Denn monumentale Repräsentations-
bauten, gerade das können unsere Architekten nicht. Hoch-
ragende Gebäude in Berlin und Leipzig beweisen es.
Mit einem Versuche, für den künstlerischen Schmuck
der Straßen aus eigenen Mitteln zu sorgen, ist jetzt
auch Berlin einmal hervorgetreten. Man kann bei dem
gänzlichen Mißlingen des Versuchs zu einer Wieder-
holung freilich nicht raten. Es galt die Potsdamer
Brücke umzubanen. Die alte unzulängliche wurde in
zwei Brücken geteilt, die in einem spitzen Winkel zu-
sammenstoßen. Zwischen beiden blieb ein schmales Dreieck
des Flusses unüberbrückt. Warum? Um den Selbst-
mördern eine bequeme Gelegenheit zu geben, meinen
die Pessimisten, um hineinzuspucken, sagen die andern.
Jedenfalls sind die zusammenlaufenden oder auseinander-
gehenden Linien von jedem Standpunkt aus unschön.
Gitter von einer wirklich unerhörten Geschmacklosigkeit
fassen die Brückenwege ein. Das schlimmste aber ist der
E-ü't^ch°n^w-°d Norbcr- pfrcgsch'n-r s-c.
Kunst aus Berlin zu schreiben, nur im Zorn kann es
wieder geschehen. Die Berliner Zeitungen bringen noch
immer, gewiß zum Staunen aller Leser, die ihrer längst
vergessen haben, lange Artikel über die Kunstausstellung.
Weil ein paar nette Sächelchen aus Münchener kunst-
gewerblichen Ateliers hinzugekommen sind. Sie konnten
aber die Ansstellung nicht mehr retten, die doch, wie
alle, die schreiben und loben, zugestehen, die dürftigste
ist, die wir hier noch hatten. Und gerade diese Aus-
stellung soll bis Mitte Oktober geöffnet bleiben. Wem
zum Nutzen?
Von der Berliner Straßenknnst ist einiges zu berichten.
Ich kann es nicht thun, ohne mit Trauer daran zu denken,
wie sich in den fünfzehn Berliner Jahren, die ich erst auf-
weisen kann, die Straßenbilder verändert haben. Ich klage
nicht über jedes alte hübsche Haus, das seitdem verschwunden
ist. Alt heißt in Berlin 18. Jahrhundert. Die Häuser
wurden damals in den stillen Straßen der unbedeutenden
Provinzialstadt Berlin gebaut mit geringer Ausnutzung
des Bodens. Jetzt sind in den lärmenden Geschäfts-
straßen die alten behaglichen Häuser geschwunden, die
letzten standen wohl in der Kochstraße. Sie mußten
natürlich fallen, weil sie unwirtschaftlich geworden waren.
Aber der Kunstfreund wird beklagen dürfen, daß an
Stelle der einfachen Reste jener alten Häuser nun das
unruhige Vielerlei moderner Fassadenmaurerei in das
2?
Straßenbild gekommen ist. Und er hat das Recht, laut
zu schelten, wenn ohne Zwang ein altes ausreichendes
Haus fällt, nur um einem neuen Prunkbau Platz zu
machen. Ohne zwingenden Grund wurde das schöne
Herrenhaus in der Leipzigerstraße zum Einreißen be-
stimmt, ein vornehmer Bau des vorigen Jahrhunderts
von wohlthuendster Einfachheit, in der Leipzigerstraße,
so nahe der frechen Wertheimfassade, ein künstlerischer
Ruhepunkt für die suchenden Augen. Die Verhältnisse
des alten Baues schienen der vornehmen Körperschaft, die
er beherbergt, so ganz zu entsprechen. Und daß etwas
Minderwertiges an seine Stelle tritt, davon muß man
leider überzeugt sein. Denn monumentale Repräsentations-
bauten, gerade das können unsere Architekten nicht. Hoch-
ragende Gebäude in Berlin und Leipzig beweisen es.
Mit einem Versuche, für den künstlerischen Schmuck
der Straßen aus eigenen Mitteln zu sorgen, ist jetzt
auch Berlin einmal hervorgetreten. Man kann bei dem
gänzlichen Mißlingen des Versuchs zu einer Wieder-
holung freilich nicht raten. Es galt die Potsdamer
Brücke umzubanen. Die alte unzulängliche wurde in
zwei Brücken geteilt, die in einem spitzen Winkel zu-
sammenstoßen. Zwischen beiden blieb ein schmales Dreieck
des Flusses unüberbrückt. Warum? Um den Selbst-
mördern eine bequeme Gelegenheit zu geben, meinen
die Pessimisten, um hineinzuspucken, sagen die andern.
Jedenfalls sind die zusammenlaufenden oder auseinander-
gehenden Linien von jedem Standpunkt aus unschön.
Gitter von einer wirklich unerhörten Geschmacklosigkeit
fassen die Brückenwege ein. Das schlimmste aber ist der
E-ü't^ch°n^w-°d Norbcr- pfrcgsch'n-r s-c.
Kunst aus Berlin zu schreiben, nur im Zorn kann es
wieder geschehen. Die Berliner Zeitungen bringen noch
immer, gewiß zum Staunen aller Leser, die ihrer längst
vergessen haben, lange Artikel über die Kunstausstellung.
Weil ein paar nette Sächelchen aus Münchener kunst-
gewerblichen Ateliers hinzugekommen sind. Sie konnten
aber die Ansstellung nicht mehr retten, die doch, wie
alle, die schreiben und loben, zugestehen, die dürftigste
ist, die wir hier noch hatten. Und gerade diese Aus-
stellung soll bis Mitte Oktober geöffnet bleiben. Wem
zum Nutzen?
Von der Berliner Straßenknnst ist einiges zu berichten.
Ich kann es nicht thun, ohne mit Trauer daran zu denken,
wie sich in den fünfzehn Berliner Jahren, die ich erst auf-
weisen kann, die Straßenbilder verändert haben. Ich klage
nicht über jedes alte hübsche Haus, das seitdem verschwunden
ist. Alt heißt in Berlin 18. Jahrhundert. Die Häuser
wurden damals in den stillen Straßen der unbedeutenden
Provinzialstadt Berlin gebaut mit geringer Ausnutzung
des Bodens. Jetzt sind in den lärmenden Geschäfts-
straßen die alten behaglichen Häuser geschwunden, die
letzten standen wohl in der Kochstraße. Sie mußten
natürlich fallen, weil sie unwirtschaftlich geworden waren.
Aber der Kunstfreund wird beklagen dürfen, daß an
Stelle der einfachen Reste jener alten Häuser nun das
unruhige Vielerlei moderner Fassadenmaurerei in das