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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Personal- u. Atelier-Nachrichten - Ausstellungen und Sammlungen - Vermischte Nachrichten - Kunstlitteratur u. vervielf. Kunst
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Kunstlitteratur lind vervielfältigende Kunst.

hervorgebracht hat. Konrad Fiedler, den eine unabhängige
Lebensstellung in die Lage versetzt hatte, ganz nach eigener Wahl
seinen künstlerischen Neigungen als Forscher wie als Sammler
leben zu können, gehörte mit seinem künstlerischen Credo, um es
kurz zu bezeichnen, dem Schüler- und Freundeskreise von Hans
von Marees an, wenigstens deckt sich mit den in diesem Kreise
gepflogenen Anschauungen seine eigene Denkweise und vor allem
der Grundgedanke seiner Theorie vom Ursprung und von der
Beurteilung des künstlerischen Schaffens. Das Kunstwerk ist
ihm nicht, wie vielen, ein aus bestimmten äußeren
Motiven des Gedankens oder der Empfindung her-
vorgerufenes Erzeugnis menschlicher Thätigkeit,
sondern vielmehr das Resultat eines natürlichen
Entwicklungsprozesses, der, von den inneren Vor-
gängen des Sehens im künstlerisch begabten In-
dividuum ausgehend, ein erhöhtes Bewußtsein der
sichtbaren Welt und den Ausdruck dieses Bewußt-
seins in einer Art von neuer Schöpfung im Kunst-
werk hervorbringt. Diese Theorie hat zunächst in
ihrem Verhältnis zur wissenschaftlichen Interessen-
sphäre das Verdienst, die Betrachtung aller rein
künstlerischen Lebensäußerungen freigemacht zu
haben von den Ansprüchen sowohl der historisch-
kritischen Beurteilung, wie der Philosophischen Speku-
lation, welche beide zu Unrecht jeweilig den ihnen
gleichberechtigten Wissensbereich der künstlerischen
Welterkenntnis und Welterklärung ihren besonderen
Kategorien ein- oder auch unterzuordnen versucht
haben. Das ist auf theoretischem Gebiet der
bleibende Gewinn, den uns die zwei einander gegen-
seitig ergänzenden und hier neu zum Abdruck
gelangten Hauptschristen Fiedlers über „die Beur-
teilung von Werken der bildenden Kunst" (1876)
und über „den Ursprung der künstlerischen Thätig-
keit" (1887) gebracht haben. Keine geschichtliche
Forschung wird natürlich von der Beschäftigung mit
den Aeußerungen des künstlerischen Lebens in Ver-
gangenheit und Gegenwart abstrahieren, keine Philo-
sophie auf den Anspruch verzichten können, „den
Begriff von Kunst, den sie sich gebildet hat, in den
Zusammenhang ihrer philosophischen Weltanschauung
zu bringen". Aber beide „thun damit doch nichts,
was ein richtiges Verständnis der Kunst an sich
bereichern, ein irriges berichtigen könnte". Soll
ungeachtet die Frage Beantwortung finden, wer
zum Verständnis und so auch zur Beurteilung von
Werken der bildenden Kunst berufen sei, so wird
nach Fiedler dafür in erster Linie naturgemäß der
Künstler selbst zu nennen sein, welcher „am eigenen
Erlebnis den bildnerischen Vorgang kennt, in dem
das Streben nach Entwickelung des Bewußtseins
von einer sichtbaren Welt Befriedigung sucht".

Aber, „jene natürliche Anlage, die in der Steigerung
sich als künstlerische Thätigkeit darstellt, ist doch
schon in geringerem Grade bei vielen vorhanden,
und diese find es, die in sich selbst den natürlichen
und unmittelbaren Zugang in die Welt der Kunst
finden." Viele also, aber nicht alle sind es, nach
des Autors Ansicht, die berufen find. Darnach
richtet sich auch des weiteren sein Urteil über die
soziale Bedeutung der künstlerischen Thätigkeit, das
in einem selbständigen Essay „über Kunstinteressen
und deren Förderung" niedergelegt ist. Den
modernen, auf Popularisierung der Kunst im
weitesten Sinne gerichteten Bestrebungen gegenüber
macht sich bei ihm eine starke Exklusivität geltend; sie ist durchaus
bezeichnend für die vornehme geistige Art, die seine Ausführungen
überhaupt bestimmt — und gestehen wir's nur — bis zu einem
gewissen Grade ist sie auch berechtigt. Man wird, was die
Stellung der Kunst im heutigen sozialen Leben anlangt, die un-
bedingt ablehnende Haltung wohl nicht immer teilen, die Fiedler
gegenüber allen auf Hebung künstlerischen Sinnes und künst-
lerischer Thätigkeit gerichteten öffentlichen wie privaten Bestrebungen
bekundet. Und dennoch wird man ihm Dank wissen für den
Mut der Ueberzeugung, mit welchem er der heutigen Tags schon
förmlich zur Manie gewordenen ästhetischen Bildungswut so vieler
Kreise entgegentritt, die namentlich im Gebiet des sogenannten
Volksbildungswesens so unermüdlich eifern, Gutes zu thun, wäh-
rend sie in Wirklichkeit doch meist nur der Halbbildung und der

damit verbundenen Spezies des geistigen Hochmutes Vorschub
leisten. Ein daran anschließender Aufsatz über „modernen
Naturalismus und künstlerische Wahrheit" bewegt sich in Ge-
danken, die aus den schon erwähnten grundlegenden ästhetischen
Arbeiten des Autors erwachsen sind. Ein pietätvolles Denkmal
persönlicher Beziehungen und Erinnerungen bildet endlich ein
Abriß von Hans von Marees' Leben (f 1887), mit dem Fiedler
seine Publikation der Werke dieses Künstlers vor nun bald zehn
Jahren eingeleitet hatte, der aber damals wie diese Publikation


selbst zunächst nur für einen beschränkten Kreis zugänglich war.
Zu lebendigem Ausdruck gelangt darin die Tragik der zu früh
vollendeten Laufbahn jenes außerordentlichen Mannes, der dazu
berufen schien, als bahnbrechender Genius seiner Zeit voranzu-
leuchten und der, von körperlichem Leiden verzehrt, hinsiechte, ohne
andere Spuren seines Daseins zurücklassen zu dürfen, als Frag-
mente, „Anfänge", wie er selbst sie nannte. Den starken Idea-
lismus, der den Inhalt von Marees künstlerischen Intentionen
ausmachte, hat der Biograph als Freund wie als Schüler mit
ihm geteilt, es ist derselbe Grundzug des geistigen Wesens, der
der Gesamtheit von Fiedlers hinterlassenen Schriften ihre Signa-
tur giebt. l2<SH
 
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