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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Meißner, Carl: Wilhelm Steinhausen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0252

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Wilhelm Steinhaufen.



unter dem er arbeitete. Die gründliche technische Schulung,
die heute überall so bequem zu haben ist, wurde ihm
damals dort nicht. Er mußte sich selbst zu helfen suchen;
nur einer, dem er erst bei einem kurzen Besuch in Losch-
witz 1870 persönlich nähertrat, half ihm aus der Ferne
sich selber finden. Ludwig Richters Holzschnittwerke
hatten schon dem Knaben tiefen Eindruck gemacht. Seiner
grunddeutschen Art fühlte er sich verwandt. Und so
entstanden in Karlsruhe die Zeichnungen zur „Geschichte
von der Geburt unseres Herrn", die, nachdem der erste
Verleger bei Metz gefallen, 1872 mit schlichten Versen
seines Bruders Heinrich in unvollkommenen Holzschnitten
als sein erstes Buch hcrauskamen. In einzelnen, namentlich
den größeren Blättern ist doch ein Etwas, das der welt-
freundliche Richter nicht hatte, eine gewisse getragene
Feierlichkeit der Empfindung, die vom Eigenen ist.

In Karlsruhe noch trat dem seelisch Einsamen
Hans Thoma näher. Das Leben hat die zwei Männer
immer wieder in München und dann in Frankfurt zu-
sammengeführt, so daß heute die zwei Strebensgenossen
nicht nur ein Herüber und Hinüber von Anregungen,
sondern auch eine herzliche Freundschaft verbindet. Von
Berlin aus gewann Steinhaufen dann 1871 ein Jtalien-
stipendium. Sorglos verlebte Tage, im Verein mit
guten Gesellen, fröhlicheres, reicheres Fühlen, das war
es wohl hauptsächlich, was ihm Italien gab. Wie einst
ein halbes Jahrhundert früher auf die Nazarener, so
mußten auch auf den in der Grundstimmung ihnen ver-
wandten Künstler die Primitiven — so Giottos Fresken
in Assissi — den tiefsten Eindruck machen. Auch die
Münchener Jahre, die nun folgten, hielten diese stärkere
innere Bewegtheit wach. Wenige Männer traten ihm nur
näher, aber diese Wenigen konnten ihm etwas sein. Der
Verkehr mit Bayersdorfer, du Prel, Greif, Thoma konnte
ihn vielseitig anregen. In München entstand denn auch der
weitaus größere Teil seiner Randzeichnungen zur „Chronika
eines fahrenden Schülers" von Clemens Brentano. In
ihnen ist Steinhausen zum erstenmal ganz er selber. Das

Seelische der Gestalten ist rein und schön. Im Landschaft-
lichen hat er ein paarmal eine ganz schlichte Größe, wie
sie nur aus tiefer Naturempfindung aufwächst. Das milde
Glühen, das aus Brentanos Dichtung uns anheimelnd
entgegenweht, braucht er nicht erst in sich anzufachen:
er hat es selber. Und so steht er dem Dichter frei zur
Seite und giebt kein mehr oder minder treffendes Nach-
empfinden wie die meisten Illustratoren, sondern Selbst-
empfundenes, das nicht selten eine Steigerung oder eine
freie Vertiefung des von Brentano Gegebenen bedeutet.
Revolutionär aber hätte eigentlich das Ornamentale der
Randzeichnungen damals wirken müssen. Etwas, das ein
gut Stück später Seder, Meurer, Schtvindrazheim, Ger-
lach als ein Neues lehrten, hat Steinhaufen damals schon
ausgeübt: die direkte, kaum durch irgend einen früheren
Stil beeinflußte Verarbeitung der pflanzlichen Naturform
zum Ornament. Wohl legte er seine sehr frischen und
feingeistigen Sachen im Münchener Kunstgewerbe-Verein
vor, aber die Idee war damals zu neu — es fand sich
kein Verleger für die Randzeichnungen! Erst mehr als
zwanzig Jahre später hat sie Heinrich Keller in Frankfurt
Publiziert. Steinhaufens vornehm bescheidene Natur hat
wohl nie verstanden, äußerlich was aus sich zu machen.
So mangelte denn der klingende Erfolg gründlich. Das
gab böse, gedrückte Jahre, die der Künstler teils in
Berlin, teils in der Pfarrei seines Bruders verlebte.
Geselschap, der treffliche Mann und zuverlässige Freund,
den er 1876 kennen lernte, vermittelte dann einen Auf-
trag des Frankfurter Architekten Ravenstein, der Stein-
haufen auch später — ebenso wie Fräulein R. Livingston
— ein Förderer wurde. Der Künstler blieb in Frankfurt,
der Zufall wollte es, daß auch Thoma nach Frankfurt
berufen wurde. Zu dem guten Freunde gewann er dort
1880 eine echte deutsche Frau zum Weibe. Dort und
von dort aus schuf und schafft er nun, bald umtönt von
zahlreichen kräftigen Kinderkehlen, die Wandgemälde,
Tafelbilder und graphischen Blätter, die der Summe
seines Schaffens doch erst die großen Wertziffern geben.
 
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