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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Gronau, Georg: Kunst und Publikum
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0303

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Kunst und Publikum.

2Z§

toniger^Stimmungen zu erkennen". Viele bleiben am
Inhalt der Kunstwerke haften. „Man kann sagen,^daß
alle diejenigen, und ihrer sind nicht wenige, deren Blick
nicht über den Gegenstand des Kunstwerkes hinausgeht,
künstlerisch blind sind."

Zwischen dieser Unfähigkeit, sich über den Gegen-
stand zu erheben, und der höchsten Feinfühligkeit giebt
es mannigfache Abstufungen: die „Anlage zu künstlerischem
Sehen ist erst die Voraussetzung für das völlige Nach-
empfinden des malerischen oder plastischen Kunstwerks.
Hier ist der Punkt, wo die künstlerische Erziehung einzu-
setzen hat".

„Der sicherste Weg, zum Verständnis der Kunst zu
gelangen, wird immer der sein, daß sich das Publikum
durch wiederholtes vorurteilsloses Anschauen des Besten
selbst erzieht." Aber was ist das Beste? Und die
Vorurteilslosigkeit wird durch gewisse „populär gewordene
Axiome der Studierstubenästhetik" nahezu Paralysiert —
vorzüglich durch die Forderungen der Schönheit, des
Idealismus und der Nationalität.

„Dieser letztere Ausdruck heißt, — daß der Schaffende
aus sich selbst schöpfen soll. Jeder ursprüngliche Künstler
ist national, insofern er das Volkstum, dem er entspringt,
zum Ausdruck bringt." Gegen künstlerische Fortschritte,
die etwa vom Ausland kommen, sich abzuschließen,
heißt nicht etwa nationale Kunst treiben. Das Nationale
liegt auch nicht im Stoff. „Die Wahl patriotischer
Stoffe ist nicht für das Wesen einer nationalen Kunst
entscheidend. So wünschenswert die Behandlung solcher

Stoffe auch sein mag, in künstlerischer Beziehung' ist sie
ohne Belang". (Beiläufig: bedingt der Stoff, der
Inhalt seiner Werke, daß Albrecht Dürer unser deutschester
Künstler geworden ist? Dasselbe Stoffgebiet, dem er
zumeist die Gegenstände für die künstlerische Aussprache
entnahm, hat die höchsten Leistungen der italienischen
Renaissancekunst gezeitigt. Inhaltlich sind die Kunstwerke,
die damals nördlich und südlich der Alpen entstanden
sind, oft identisch — die Auffassung, die Formensprache,
machen sie zu Werken, in denen der nationale Charakter
seinen reinsten Ausdruck findet.)

Der Idealismus (-leider wird dies Wort heutzutage
in ganz banalem Sinn, der jeder bewußten Bedeutung
zumeist entbehrt, gebraucht — fast immer von Leuten,
denen man das Recht absprechen sollte, dies Wort in
den Mund zu nehmen) ist eine selbstverständliche Forderung.
„Jedes Werk, das als künstlerische That angesehen werden
soll, giebt die Idealität dessen, was dargestellt wird."
Aber auch hier entscheidet nicht der Gegenstand, sondern
die „Gestaltungskraft".

Der stärkste Mißbrauch aber wird mit der Forderung
der Schönheit getrieben. „In der großen Mehrzahl der
Fälle hat diese geforderte Schönheit mit Kunst nicht das
Geringste zu thun. Das kann nicht oft genug wiederholt
werden." Im Gegenteil, darf man hinzufügen, was im
Geschmack des großen Publikums schön erscheint, ist fast
stets künstlerisch wertlos. „Die meisten Porträts, die
der Schönheit der Dargestellten ihre Popularität ver-
danken, sind künstlerisch minderwertig." Schönheit ist
 
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