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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Voll, Karl: Die Reform der deutschen Kunstvereine, illustriert am Münchener Verein
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0331

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Die Reform der deutschen Runstvereine, illustriert am Münchener Verein.

werk" abkaust. Eben dieser Umstand trägt mit daran
Schuld, daß der Verein seine seit Jahren zu beträchtlicher
Höhe angewachsenen Einnahmen in kleinen Summen
verausgabt; er lindert damit zwar das Elend mancher
armen Künstlerfamilie, aber er leistet damit nicht das,
was er leisten könnte. Seine jährliche Einnahme beträgt
125 000 M., von denen ihm nach Abzug aller statuten-
mäßigen Ausgaben noch 70000 M. zum Ankauf von
Kunstwerken übrig bleiben. Diese werden dann durch
das Los an die Mitglieder verteilt, bei ihrer Auswahl
kommt aber nicht allein ihr künstlerischer Wert, sondern
die pekuniäre und gesellschaftliche Stellung ihres Autors
in Betracht. So ist am Ende des Vereinsjahres die
oben genannte Summe verausgabt, ohne daß etwas ge-
fördert worden ist, was in angenehmem Verhältnis zu
ihrer Höhe stünde. Wohlthätigkeit ist eine große Tugend
und sie steht auch dem Kunstverein gut an, seine einzige
darf sie jedoch nicht sein.

Das richtigste und ausgiebigste Mittel zur Besserung
scheint nun eine Umänderung des Verlosungsmodus zu
sein und zwar nach dem Sinne der in London und
Karlsruhe mit glänzendem Erfolg getroffenen Einrich-
tungen. Statt wie bisher die Bilder von der Vorstand-
schaft ankaufen zu lassen, wäre es vielleicht angezeigt,
dem Publikum dieses Recht zu überlassen. Es würden
nicht etwa Kunstwerke verlost, sondern Anteilscheine auf
Summen verschiedener Höhe. Es ist selbstverständlich,
daß die Auswahl der Kontrolle doch der Vereinsleitung
unterstellt bleiben muß. Die Anteilscheine berechtigen auch
nicht zum Ankäufe beliebiger Kunstwerke, sondern nur
zur Auswahl unter denen, die die Vereinsleitung hiefür
genehmigt hat. Mit diesem System würde viel mehr
Beweglichkeit und wertvolle Freiheit nicht nur in die
Ankaufs- und Verlosungsangelegenheiten kommen, sondern
auch in den gesamten Betrieb des Kunstvereins. Zunächst
wäre auch eine größere Gleichförmigkeit im Beschicken der
Ausstellungen zu erwarten als bisher. Die Erfahrung hat
gezeigt, daß der größte und lebendigste Zudrang regelmäßig
in den wenigen Wochen stattfindet, wo die Ankäufe vor-
genommen werden. In der übrigen Zeit herrscht meistens
eine unheimliche Ruhe. Da aber die Anteilscheine für
ein Jahr und alle seine Wochen Gültigkeit haben würden,
so könnten die Künstler auch allwöchentlich auf Ankauf
rechnen, und so würde die Beschickung der Ausstellungen
wohl regelmäßiger werden. Das wäre nun schon ein
sehr anerkennenswerter Vorteil; denn er hat auch regere
Anteilnahme des Publikums im Gefolge. Höher ist aber
das anzuschlagen, daß das gierige Pensionistcntum auf
diese Weise beseitigt würde; denn wenn das Publikum nach
eigenem Urteil und Geschmack wählen darf, dann ist eine
bestimmte Tradition zu Gunsten einiger weniger Künstler
nicht mehr gut möglich. Sowie aber die -Pensionisten
ausgerottet sind, wird Platz frei für andere Künstler und
die Verdrossenheit, die dem Gedeihen des Vereines so im
Wege stand und ihn seit zwanzig Jahren hinderte, eine
dem stetigen Wachstums Münchens folgende Höhe zu
erreichen, würde einigermaßen schwinden. Am wichtigsten
aber scheint es mir, daß dieser Modus es ermöglicht,
einzelne höhere Preise auszusetzen, ohne daß die auch
den Künstlern nicht fremde Jntriguenwirtschaft sich ihrer
bemächtigen kann. Bis jetzt und bei dem jetzigen Betrieb
hatte der Verein nicht das nötige Geld, für seine Ver-
losungen Kunstwerke im Wert von einigen Tausend Mark

anzukaufen. Das trägt mit dazu bei, daß die Künstler
von Ansehen nicht gerne oder überhaupt nicht bei ihm
ausstellen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen haben
sie fast gar keine Aussicht auf Verkäufe, aber viel An-
wartschaft auf Verdruß und Schererei. Wenn sie aber
Gelegenheit bekommen, unter bequemen Bedingungen, ohne
Furcht vor Chikanen von seiten des Schiedsgerichts aus-
stellen und verkaufen zu können, dann darf man hoffen, daß
die guten alten Zeiten wiederkommen, wo auch die Künstler
von Ruf sich aktiv am Kunstverein beteiligten. Was die
auswärtigen Mitglieder anlangt, so kann von ihnen freilich
nicht verlangt werden, daß sie ihres Gewinnes wegen
eigens nach München fahren; für diese müßte bis auf
weiteres der alte Modus beibehalten oder sonst irgend
eine Maßregel getroffen werden.

Noch in anderer Hinsicht sind die Statuten ganz
veraltet. Die unglückseligen Spaltungen in der heutigen
Künstlerwelt haben in München so gut wie in Paris,
Berlin und Wien blutigen Hader unter den einzelnen
Künstlergesellschaften geschaffen. Da die Künstler auch ein
tiefgehendes Verständnis für die Annehmlichkeiten des
Gelderwerbs besitzen, oft genug auch gezwungen sind,
sich um ihr tägliches Brot hart zu bemühen, so ist es
selbstverständlich, daß um den Geldkasten des Kunstvereins
alljährlich ein hitziger Kampf entbrennt. Jede der
Parteien möchte über ihn verfügen dürfen und das Ende
vom Lied ist bittere Feindschaft. Für den Verein aber
springt wenig Gutes dabei heraus. Er büßt seine Neutra-
lität dabei ein und mit ihr manches von der Achtung, die
ihm für sein Gedeihen so notwendig ist wie irgend einem
anderen Institut. Als er gegründet wurde, wußte man
von solchen Zerklüftungen noch nichts und trug ihnen auch
keine Rechnung. Wir haben leider in dieser Hinsicht mehr
Erfahrung und dürfen darum einen Paragraphen ver-
langen, der für jede der großen Künstlergesellschaften
gleiche Vertretung in der Vorstandschaft bestimmt.

Eine weitere viel erörterte Frage gilt dem bisherigen
System, wöchentlich eine neue Ausstellung zu veranstalten.
Unter der schweren Konkurrenz der großen Ausstellungen
ist ein Wechsel von Woche zu Woche an sich nicht gut
möglich; aber wenn der Verein so wenig Sympathie bei
den Künstlern genießt wie gegenwärtig, da kann er sich
kaum mehr mit Dilettantenausstellungen fortbchelfen. Die
Sterilität der heurigen Wintersaison war monatelang
geradezu erschreckend. Wenn der Kunstverein nun ein
reines Kunstinstitut wäre, so könnte er leicht genug nur
solchen Erwägungen folgen, die mit der Kunstpflege
zusammenhängen; aber er ist auch Sonntagnachmittags-
ausflugsort, wo sich die Familien Rendezvous geben, wo
man die Bilder der Vettern, Tanten, Basen und Uronkels
in Augenschein nimmt und sich auch einige Neuigkeiten
zuraunt. Von diesem Sonntagsvergnügen läßt der Mün-
chener Bildungsphilister nicht und lieber sieht er alle
acht Tage eine schlechte Ausstellung im Kunstverein, als
alle vier Wochen eine gute. Es gilt darum, einen Kom-
promiß zu schaffen, der den verschiedenen Wünschen
Rechnung trägt. Man kann die alte wöchentliche Er-
neuerung beibehalten, aber Sorge tragen, daß die besseren
Werke in der Regel wenigstens zwei Wochen lang aus-
gestellt sein müssen. Wenn man unter diesen vielleicht
diejenigen versteht, die von der Jury zum Ankauf em-
pfohlen sind, so werden die verkaufslustigen Künstler sich
gerne darein fügen.
 
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