Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

DOI article:
Pauli, Gustav: Die Bibliothek des Kunstfreundes
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0469

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Clara Walther 6el.

Die Viüliochek des AunskfreundeF.

von Gustav Pauli.


4 l'ebcr eine Kunstbibliothek — nicht wie sie ist, sondern wie sie sein sollte — etwas zu sagen, ist eine heikle
4-»- Aufgabe. Die gefährlichste Klippe aller Schriftstellerei, die Langweiligkeit, ist hier schwer zu umschiffen.
Man müßte Bücher nennen, sie kritisieren, um sie zu empfehlen — allein wo soll man anfangen und wo
enden? Das Gebiet der Kunstwissenschaft ist so unendlich groß, mindestens so groß, wie das der politischen
Geschichte. Sie begleitet die Kulturentwicklung der Menschheit bis in ihre ersten Anfänge zurück, in weit-
läufigen Kapiteln handelt sie von der Theorie und Technik aller Kunstzweige und schließlich vereinigt sie sich
mit der Philosophie auf dem Gebiete der Aesthetik. — In jeder Parzelle dieses unermeßlichen Reiches sitzt
ein Gelehrter bei der Arbeit. Und wenn es ein Vermessener unternimmt, über das Ganze und seine Litteratur
ein weniges zu erzählen, so muß er sich auf einen vielstimmigen Protest gefaßt machen. Von allen möglichen
Seiten wird es ihm entgegentönen: Ignorant (— das schlimmste Schimpfwort unter gelehrten Herren —) das
hast du übersehen? — Hast du mich etwa nicht gelesen? — Da nun kein Mensch solche Schande überleben
möchte, so gilt es, sich zu beschränken. — Dazu kommt noch ein anderes, besonders erschwerendes Moment.
Man muß nämlich von vornherein gestehen, daß in einer Kunstbibliothek die Bücher nicht das wichtigste sind,
so paradox es klingen mag. Man könnte sich einen trefflichen Kenner denken, der nicht einmal lesen kann.
Vor einem Kunstgelehrten dagegen, der seine Weisheit nur aus Büchern hat, möge uns der Himmel bewahren —
was er freilich nicht immer thut. Die bildende Kunst scha-fft nun einmal für die Anschauung. Aus der An-
schauung allein kann man sie verstehen lernen. Das geschriebene Wort spielt in ihrer Wissenschaft im Grunde
genommen eine bescheidene Rolle. Das beste, was es geben kann, ist eine Anleitung zum richtigen Schauen
oder eine Erklärung des Geschauten. Wenn daher ein Zeitgenosse zu mir käme, sich für einen Kunstfreund
erklärte und die Absicht äußerte, sich zu seiner weiteren Ausbildung eine Bibliothek anzulegen, so würde ich
ihm gewiß raten, zunächst einmal die Lektüre aus dem Spiel zu lassen. Nicht der Bücherschrank, sondern
das Gestell für die Bildermappen sei das erste Möbel in der Bibliothek des Kunstfreundes.

Wie leicht ist uns heute die Beschaffung des Anschauungsmaterials gemacht! Wir begreifen es kaum
mehr, wie unsere Väter mit dem teuren, spärlichen und unzuverlässigen Material an Kupferstichen, Holz-
schnitten und Lithographien Kunstgeschichte schreiben und stilkritische Untersuchungen anstellen konnten. Jeder
Student kann sich heute ans ein Paar Sammelwerke von Abbildungen abonnieren, die ihm jährlich Hunderte
von ausgezeichneten Reproduktionen liefern. Den ersten Anstoß zu diesen billigen Bildersammlungen hat
Georg Hirth gegeben, ein Mann, in dem sich wahre Freude an der Kunst, Unternehmungslust und Geschäfts-

Die Kunst für Alle XIV, 2H. 15. September 1899-

4?
 
Annotationen