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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Meier-Graefe, Julius: Die Stellung Eduard Manet's
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0071

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«B-fi^> EDUARD MANET

der es gelang, den Moment zu bannen und
im grössten Umfang Leben zu geben, neue,
ganz und gar revolutionäre Töne, die erlauben,
in ihm den ersten Impressionisten unseres
Jahrhunderts zu sehen, auf den die Kunst
nicht geringerer Meister wie Manet zurück-
griff.

Manet erscheint dem heissblütigen Goya
gegenüber wie der 'kühle Nordländer. An
Goya hatte ihn das Temperament gereizt.
In die Zügellosigkeit dieses gefährlichen Vor-
bildes zu fallen, davor bewahrte ihn das Bei-
spiel des grossen Weisen, den er neben Goya
fand, Velazquez.

Velazquez wurde ungefähr gleichzeitig von
zwei nordischen Malern entdeckt, die beide
dem stärksten Einfluss unterlagen und beide
bestimmt waren, ihrerseits den stärksten Ein-
fluss auf ihre Zeit auszuüben. Der zweite
war Whistler. Ihm war Velazquez eine
Studie, die man in engster Anlehnung an
das Vorbild „fertig" malen konnte. Es kam
ihm nicht so sehr darauf an, etwas anderes
zu geben, und dass seine Eigenart schliess-
lich etwas anderes, einen eigenen Ausdruck
daraus machte, geschah kaum mit Bewusst-
sein; er wünschte genau in derselben Bahn,
wenn möglich eine grössere Vollendung zu
geben. Zum Glück begegnete er Turner,
der, so flüchtig die Berührung war, einer
Phase der WmsTLER'schen Kunst eine neue
koloristische Richtung gab. In dem grossen
Werk des Meisters bildet sie nur eine Episode,
der Rest ist Velazquez. Was ein Mensch
mit genialen Händen und einem Auge, das
in Velazquez alles bis auf die feinsten, dem
Urheber vielleicht selbst unbewussten An-
deutungen sah, auf diesem Wege erreichen
konnte, ist Whistler vergönnt worden. Er
ist der einzige Porträtist unserer Zeit, dem
es gelingt, fern von jeder Banalität seinen
Werken jene äusserste Vollendung zu geben,
seine fabelhaften Fähigkeiten so zu konzen-
trieren, dass auch nicht der geringste Rest
ungelöst bleibt. Seine Kunst ist, auf der
Spitze seines Fingernagels eine ganze Welt
so zu balancieren, dass in allen Punkten das
absolute Gleichgewicht herrscht. Man wird
vor vollendeten WmsTLER'schen Werken von
der nervösen Sucht ergriffen, irgendwo eine
Schwäche, ein Ausgleiten zu entdecken, und
das Ganze ist in der Erscheinung so einfach,
dass man sich nicht mit dem Trost einer
raffinierten Geschicklichkeit über diesen Mangel
jeden Mangels hinweghelfen kann. Man kann
sich von dem Jugendwerk, dem Porträt seiner
Mutter im Luxembourg, nicht dessen sogar
verhehlen, was aller Geschicklichkeit allemal

misslingt, der Grösse, und eins allein bleibt
unerreicht, das Vorbild, dem er nachstrebte,
das sich gewaltig von dem Auge des Be-
schauers wie ein ungeheurer Schatten über
die Leinwand Whistler's erhebt, vor dem
sie verblasst, ohne dass man weiss, warum :
Velazquez.

Manet hütete sich vor der gefährlichen
Nähe, und das war sein Glück. Er that es
unbewusst. Alle echte Bewunderung stählt
den Stolz des Selbstbewusstseins. Der Grosse
erkennt sich selbst, wenn er etwas anderes
Grosses erkannt hat, und aus der Freude an
dem Werk des anderen schöpft er das Ver-
trauen, sein eigenes Werk zu fördern. Weder
Goya noch Velazquez haben Manet gemacht.
An dem einen sah er, dass der flüchtigste
Pinselstrich dieselbe Bewegung, dasselbe Leben
und noch viel mehr geben kann als die glatte
Vollendung; der andere zeigte ihm, wie das-
selbe den Bedürfnissen fürstlichsten Anstandes
genügen konnte und zeigte ihm, dass hundert
Jahre vorher bereits ein Mensch sich seine
eigene Welt von neuen Farben geschaffen
hatte. Warum sollte ihm der Mut zur selben
Kühnheit fehlen!

Und vom ersten Ausgangspunkt an zeigt
sich die Verschiedenheit zwischen seiner Be-
ziehung zu den grossen Lehrmeistern und
dem Verhältnis Whistler's zu ihnen. Whist-
ler, der grosse Bewusste, dessen Meister-
schaft nur von seinem Ehrgeiz übertroffen
wird, dachte nicht im Traume daran, etwa
spanische Bilder zu malen; man hätte ihn
womöglich für einen Nachahmer gehalten.
Er malte moderne Engländer und Amerikaner
mit aller Betonung ihres Kostüms und ihres
Milieus. Manet, der Unbewusste, konnte
sich nicht enthalten, Spanier zu malen, ja,
er unterlag der Versuchung, fast dieselben
Vorbilder zu nehmen, die Goya gedient
hatten man vergleiche die Olympia mit
der Maja, das Balkonbild des Luxembourg
mit ähnlichen Goya's — aber es waren Spanier,
von einem modernen Franzosen gesehen.
Dem Silbergrau des Velazquez, dem sich
Whistler nie entziehen konnte, stellte er
den Glanz voller jubilierender Farben ent-
gegen und vollbrachte mit seiner genialen
Erkenntnis des Lichts in den Farben die
grösste künstlerische That unseres Jahr-
hunderts, von der an späte Geschlechter eine
neue Geschichte der Malerei datieren werden.
Was Goya's Pinsel zuweilen in der fieber-
haften Jagd nach phantastischen Vorstellungen
entfahren war, das wurde in seiner Hand zu
einer mächtigen Ausdrucksform, die sinn-
liche Thatsachen festhielt, die es vor ihm

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