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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Keyssner, Gustav: Adolf Hildebrand
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0111

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I

ADOLF HILDEBRAND

(Nachdruck verboten)

m Jahre 1884 veranstaltete Fritz Gurlitt in Kunst des Sehens und Formens, nichts ver-
Berlin eine Sonderausstellung von Werken langt als eine Augenfreude (die auch erst
Adolf Hildebrand's, unter denen sich auch dann eine wahre Freude ist, wenn sie ernst-
die nackte Jünglingsfigur befand, die jetzt der haften Dingen gilt), dem wird sich vor dieser
Nationalgalerie gehört. „Da stand", so er- einfachen, nicht einmal akademisch „schönen"
zählt Cornelius Gurlitt in seinem Buch: „Die Gestalt etwas von dem Geheimnis des bildne-
deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts", „da rischen Schaffens offenbaren, etwas von dem
stand ein junger Mann in Marmor vor uns, wie Glück des plastischen, des schöpferischen
nach starker Anstrengung, mit ruhig herab- Sehens mitteilen. Und betrachten wir dann,
hängender Rechten, eingestemmter Linken; nach der „Männlichen Figur", die beiden
doch ohne jeden Gestus, ohne jedes Attribut, Bronzebüsten (die Porträts Arnold Böcklins
ohne jede Anknüpfung an geistreiche Be- und des Generals v. Baeyer), die in den-
ziehung. Es lag eine eigentümliche Schwer- selben Räumen aufgestellt sind, so vertieft
mut auf den beschatteten Augen. Das war und festigt sich noch der reine, sozusagen
fast das einzige, an das sich anknüpfen Hess. wortlose Eindruck, den wir dort empfingen;
Daher fragte ich Hildebrand, ob man das und als Synthese dieser drei unter sich ganz
Werk etwa „Allein!" taufen könne. Das sagt verschiedenen Werke erhalten wir das Bild
nichts und reizt die Kritik, viel
zu sagen. Man hätte auch den
Namen „Einer" wählen können.
Hildebrand fand dies wohl zu
geistreichelnd und nannte den
Marmor „Männliche Figur". —
Er that recht daran."

Die kleine Geschichte bezeich-
net Hildebrand's Kunstauffas-
sung so treffend und program-
matisch, wie das Bildwerk, an das
sie sich knüpft, sein ganzes Kunst-
schaffen. In dem mit vielen und
vielerlei Kunstwerken reichlich
gefüllten unteren Geschoss der
Nationalgalerie steht die „Männ-
liche Figur" still und einsam, wie
von einer Atmosphäre umflossen,
die all jene andersgeartete Um-
gebung beiseite schöbe und ver-
schwinden Hesse. Vielen Be-
schauern freilich mag sie un-
nahbar, stumm, nichtssagend er-
scheinen. Auch von ihr gilt,
was Schiller von den Antiken
sagte: „Den Vandalen sind sie
Stein." Sie ist Stein für all jene,
die von der bildenden Kunst Ge-
schichten erzählt und „Ideen"
verkörpert haben wollen. Wer
aber mit dem Meister Anton
in Hebbels „Maria /Vlagdalene"
meint, dass er seine beiden
Augen nicht zum Denken, son-
dern nur zum Sehen habe; wer
von der bildenden Kunst, der adolf hildebrand sitzender marsyas

Die Kunst für Alle XV. 5 t. Dezember 1S99.

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