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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Keyssner, Gustav: Adolf Hildebrand
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0112

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ADOLF HILDEBRAND C^£^

einer Künstlerpersönlichkeit, die in klarer
Bestimmtheit, in ruhiger Sicherheit vor uns
steht, von den meisten der Zeitgenossen durch
eine unsichtbare, aber auch unüberschreitbare
Grenzlinie getrennt, wie jener marmorne Jüng-
ling von den andern Stein- und Erzfiguren,
die sich in seiner Nähe drängen.

A. HILDEBRAND WASSERTRÄGER

> Fast immer haben wir vor den Schöpfungen
Hildebrand's das Gefühl, der Antike nahe
zu sein. Aber nur oberflächliche Betrachtung
kann sie für antikisierend im landläufigen
Sinn, für klassizistisch ansprechen. Sicher-
lich haben sie in gewissem Sinn mehr Ge-
meinschaft mit dem Realismus Schadows oder
der Quattrocentisten als mit dem Klassizis-
mus etwa eines Canova. Weder die Gesichts-
züge seiner Porträtbüsten noch die Körper-
bildung seiner Idealfiguren tragen eine Spur
jener verflauenden und fälschenden Verallge-

meinerungen, mit denen stets jene Künstler
das Opfer ihrer Einsicht bringen, die ihr
Schaffen einem transcendentalen Kunstideale,
d. h. in Wahrheit einer ausserhalb der Kunst
liegenden Idee unterworfen haben. Wo Hilde-
brand vereinfacht, wie namentlich in der Be-
handlung des Haupt- und Barthaares, da thut
er es um der Klarheit der plastischen Er-
scheinung willen; wo die sogenannten Zu-
fälligkeiten des Aeussern, Runzeln des Alters,
Fettfalten, ja Warzen die plastische Erschei-
nung in ihrer Sonderart entscheidend mit-
bestimmen, da schildert er sie auch ohne alles
Beschönigen und Schmeicheln. Wer mit so
ehrlichem und herbem Realismus porträtiert,
wie er es gethan hat etwa bei der poly-
chromen Büste der Mutter Conrad Fiedlers
(Abb. a. S. 105) oder bei der des alten Ha-
macher (die vor einigen Jahren im Münchner
Kunstverein zu sehen war), der ist auch in
Werken von so abgeklärtem Adel des Ge-
samteindruckes, wie ihn z. B. der „schlafende
Hirt" oder das Bildnis des Herzogs Karl (Abb.
a. S. 109) tragen, nicht Idealist in der Be-
deutung eines Mannes, der die Anmassung
hätte, die Natur korrigieren, Edleres als sie
hervorbringen zu wollen. Der Idealist, was
man so gewöhnlich nennt, wird meist seine
Figuren nach einem bestimmten Schema
modeln, so dass sie sich durch einen bestimm-
ten Zug von Süssheit oder Dümmlichkeit oder
posierender Heldenhaftigkeit alle einander
gleichen, wie ein Ei dem andern. Dann wieder
sind es Meister von einer ganz entschieden
gearteten dämonischen Schöpferkraft, die
nach einem ihrem Geist eingeborenen Bilde
Menschen formen, ein Geschlecht, das ihm,
ihrem Schöpfer, gleich sei und dessen Ge-
stalten sich gleichen „wie Schwestern zwar,
doch keine ganz der andern". So kann man
von einem „Menschen Thorwaldsen's" und von
einem „Menschen Michelangelo's" sprechen.
Ich zweifle, ob eine zukünftige Zeit, die
Hildebrand's Lebenswerk ganz überblicken
und aus der rechten Distanz überblicken wird,
in seinen Menschen einen bestimmten Typus
erkennen wird; und mir (die Anwendung
des „Ich" ist wohl verzeihlich, wenn der
Schreibende sich selbst nicht sicher vor einem
Irrtum fühlt, dem er nicht den Schein all-
gemeingültiger Wahrheit geben möchte) -
mir scheint ein „Nein" bei jenem Zweifel
wahrscheinlicher als ein „Ja"-

Wahrscheinlicher, weil auch aus der künstle-
rischen Persönlichkeit Hildebrand's heraus
begründbar. Vor der Willkür des falschen
Idealismus, die den Reichtum der Natur ver-
ärmlicht, ihre Feinheit vergröbert, bewahrt

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