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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Pecht, Friedrich: Die deutsche Kunst an der Wende des Jahrhunderts, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0172

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«s-S=g> DIE DEUTSCHE KUNST AN DER WENDE DES JAHRHUNDERTS

Galerie aus Düsseldorf auch deren Direktor,
Peter Langer, in gleicher Eigenschaft und als
Akademievoi-stand dazu. Langer, ein stark von
David beeinflusster Klassizist, versah dies Amt
bis 1824, wo er von Cornelius abgelöst ward.
Mit diesem kamen nach und nach die sämt-
lich mehr oder weniger von ihm abhängigen
Heinrich Hess, Julius Schnorr, Schlotthauer,
Zimmermann u. a. m., von denen keiner ge-
wagt hätte, über die Grenzen der Schule
hinauszugehen, selbst wenn er es gekonnt
hätte, was gar nicht der Fall war. Mit der
Malerei des Cinquecento hatten sie schon
damals eigentlich gar nichts mehr zu thun,
sondern lediglich mit der Komposition, die
aber auch schon ganz akademisch geworden
war, den Kothurn, d. h. das Theater gar nie
mehr verliess. So fand man denn in München
um 1830 eine ganz konventionell stilisierende
Kunst, die mit dem wirklichen Leben in gar
keiner Beziehung mehr stund und auch selbst-
verständlich gar keinen Eindruck auf die
Nation hervorbrachte. Dennoch gelang es ihr
mit allen sehr ausgiebig benützten Hilfs-
mitteln der Presse glauben zu machen, dass
sie das alles bewundern müsse, was sie
doch gar nicht einmal verstand, da es einen
ganz fremden Inhalt — die griechische My-
thologie — in einer überdies sehr schlecht
gesprochenen fremden Sprache — der italie-
nischen des Cinquecento — wiedergab. —
Natürlich wandte sich die Nation nun
sehr bald lebendigeren Richtungen zu, die
denn auch nicht zögerten, an vielen Orten
aufzutreten. Vorzugsweise in Form des
Naturalismus, da alle die, welche noch eine
Ahnung davon hatten, dass die Kunst vor
allem die Natur als Nährboden brauche, sich
ihrer möglichst unmittelbaren Nachahmung
zuwandten. So der hochbegabte Peter Hess,
der, nachdem er die Feldzüge von 1813—15
bei Wrede mitgemacht, schon gleich nach dem
Kriege seine ersten, den Erinnerungen an das
Soldatenleben entnommenen Bilder schuf und
alle Welt damit entzückte, wie sie bis heute
ihren Wert behalten haben. Um diese Zeit —
in dem ersten Viertel unseres Jahrhunderts —
kam denn auch in ganz Europa zuerst die
unmittelbare Naturnachahmung auf — offenbar
im grellen Widerspruch gegen die akademischen
Richtungen. So in Frankreich die Vernet's,
in England Wilkie's. Merkwürdigerweise
bildete man sich noch immer ein, dass man
wohl gewöhnliche Menschen, aber nicht grosse
historische Charaktere auf diese Weise schil-
dern könne. Bei deren Wiedergabe habe man,
sich aller unmittelbaren Naturnachahmung ent-
haltend, streng zu stilisieren, d. h. alle Zu-

fälligkeiten zu vermeiden. Das kommt doch
sehr auf das hinaus, was schon erheblich
früher Goethe und Schiller in ihrer anti-
kisierenden Richtung anstrebten und was dem
ersteren die „natürliche Tochter" eintrug, beim
zweiten die „Braut von Messina" verschuldete.
Seltsamer Irrtum einer ganzen Zeit, die Macht
des Individuellen und den Reiz des Zufälligen
in der Kunst leugnen zu wollen! Offenbar
war das eine unglückliche Folge der anti-
kisierenden Richtung überhaupt, da wenigstens
die altgriechische Antike keine Zufälligkeiten
kennt, ja ihnen sorgfältig aus dem Wege
geht. — Erst um die Mitte des Jahrhunderts
kam man langsam von diesem Irrtum zurück,
den ihr Genie einen Raffael und Tizian un-
willkürlich vermeiden Hess, während die
italienische Malerei des ganzen siebzehnten
Jahrhunderts ihm erst recht verfiel. Mit Aus-
nahme der Niederländer und Spanier aller-
dings. Während aber diese bei ihren Bild-
nissen in der Individualisierung der Charaktere
das Aeusserste leisten, für alle Zeiten als Muster
der feinsten Charakteristik dastehen, so wird
doch die Belauschung des rasch Vorüber-
gehenden, des Wechsels im Ausdruck noch
immer vernachlässigt. Die Originale der
Bilder werden im Atelier nicht nur gesehen,
sondern sie werden vor allem auch da ge-
malt, machen also ein „Sitzgesicht" mit der
konventionellen und einförmigen Beleuch-
tung aller Ateliers. Hier bleibt in der Kunst
noch eine grosse Lücke! Es ist das Verdienst
des zweiten Drittels unseres Jahrhunderts, die-
selbe zuerst ausgefüllt zu haben. Vernet und
Paul Delaroche gehören zu den frühesten,
die das versuchten, besonders Vernet ver-
stund besser wenigstens als alle seine Vor-
gänger, die Menschen in ihrer Bewegung, wie
ihrer Erscheinung in freier Luft zu beobachten.
Unter den Deutschen leistet zuerst Krüger
etwas darin, während Peter Hess, früh alternd,
in der Beobachtung der Bewegungen und des
raschen Wechsels im Ausdruck bald zurück-
blieb und sich darin vom Münchener Franz
Adam weit überholen Hess. Auch Enhuber
gehörte zu den frühesten Münchenern, die
den Menschen im Handeln und Thun, nicht
nur im Atelier auf dem Sitzstuhl beobach-
teten. Letzteres fällt selbst den vielbewun-
derten alten Niederländern noch nicht ein,
die sich darum beständig wiederholen und so
wenig als die meisten Altdeutschen über ein
virtuoses Handwerkertum in ihrer Kunst
hinauskommen. Hier in dieser viel feineren
Beobachtung des Individuellen, der kleinen
Varianten im Ausdruck der Gemütsbewegungen
beim Menschen liegt der ungeheure Fort-

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