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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Jessen, Jarno: George Frederick Watts
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0234

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GEORGE FREDERICK WATTS

(Nachdruck verboten)

Der Kultus der Heldenanbetung ist von kunstverklärten Heim, auf purpurnem Divan,
England ausgegangen. Hier gilt der Satz, von indischen Goldstickereien umflimmert, in
dass die Persönlichkeit die Zeit macht. Ein den Garten hinausträumen, wo sein gigantisches
paar Dichter und Maler dieses Jahrhunderts Skulpturwerk aufragt. Wir hatten Politik und
haben ihn aufs neue bestätigt. Sie haben Litteratur besprochen. Er hatte den Mangel
dem Volk der Praktiker eine weltfremde, echter Humanität bei den meisten Regierungen
traumbefangene Kunst anerzogen, etwas Anti- beklagt, und den Franzosen klassische Lei-
nationales nationalisiert. Ohne ihre Auf- stungen auf irgend einem Gebiet der grossen
richtigkeit und ihr bedeutendes Können wäre Kunst abgesprochen. Dann waren wir endlich
dieses Wunder nie geschehen. Seitdem kniet auf sein eigenes Werk gekommen. „Meine
man in England vor dem Altar der Psyche. Kunst ist fern von Vollkommenheit," sagteer,
Man rebelliert nicht und lacht nicht, man „aber ich habe doch etwas Neues gewollt, und
sinnt und entsagt. Wie lotophagenhaft diese das ist das Moralische. Darin glaube ich
Kunst auch zuweilen anmutet, sie ist immer Nachfolger zu finden, und sie werden es besser
durchaus vornehm. Der Effekt liegt ihr fern, machen." Dieses didaktische Prinzip, das
sie verschmäht fremde Vorbilder. Ein Ver- Ruskin die Quintessenz aller grossen Kunst
edlungswerk des Volkes ist ihr Ideal. Unter nennt, ist das Leitmotiv seiner Lebensfüh-
der Schar dieser Romantiker ragt George rung wie seines Schaffens. In strengem Pro-
Frederick Watts in einsamer Höhe, er gramm rollt sich sein Tagewerk ab. Ohne
ist der Klassiker unter ihnen. Spricht man Rast, ohne Hast wird gearbeitet. Wenn die
mit den besten seiner Kunstgenossen über gütige, kluge Gattin nicht unermüdlich wachte,
ihn, so wirkt sein Name wie das
Venerabile auf alle. Der be-
wegliche Herkomer, der antike
Tadema und der gläubige Holman
Hunt sind einig in der Ehrfurcht
vor dem zweiundachtzigjährigen
Altmeister. Vor ihm erhebt sich
die Stimme des gesamten Volkes
zu einem Unisono der Verehrung.
Dennoch ist er kühn auf eigener
Bahn gewandelt. Er siegte nur
durch Grossmut und Beharrlich-
keit. Wenn heute die Welt zu ihm
strömt, so hat er sie nicht ge-
rufen, sein Prinzip hat ihm die
Gefolgschaft gesichert.

Noch erhebt sich der Greis all-
täglich um vier Uhr des Morgens.
Noch malt er unermüdlich seine
Allegorien und Porträts, oft un-
klar, unzulänglich, kindlich, oft in
grandioser Meisterschaft wie einer
der Auserlesenen aller Zeiten.
Beim Diamant-Jubiläum fand ich
ihn frischer als vor Jahren. Er
war von seinem Surrey Buenretiro
nach London herübergekommen,
um die grosse Allegorie „Leben,
Tod und Jüngstes Gericht" an
den Mauern der St. Pauls Kathe-
drale, als seine Festspende für die
Königin, anbringen zu lassen. Ich
sehe den schönen Greis in seinem g. f. watts der reiter auf rotem rosse

Die Kunst für Alle XV. iu. 15. Februar 1900.

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