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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Seidlitz, Woldemar von: Über Freskotechnik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0404

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UBER FRESKOTECHNIK <SsS=^

anzulegen, für die Mitteltöne aber den blossen
Kalkbewurf zu verwenden [der dann dunkel
gewesen oder mit Farbe gemischt].

Nach einer abermaligen Unterbrechung von
zehn bis fünfzehn Minuten wird darauf das
Stück fertiggemacht. Sobald die Pinselstriche
nicht mehr von der Wand aufgesogen werden,
muss der Künstler sein Werk stehen lassen,
denn die Farben verbinden sich dann nicht
mehr mit dem Bewurf. Nur etwa Ultra-
marin kann trocken aufgetragen werden; doch
auch hierbei dürfte sich der nasse Auftrag
mehr empfehlen.

Endlich wird der überflüssige Bewurf weg-
geschnitten. Das zu malende Stück muss
natürlich immer so abgemessen werden, dass
möglichst keine Fleisch- und keine unge-
brochenen Lichtmassen durchschnitten werden.
Am nächsten Tage müssen dann die Ränder
dieses Stückes mit einem kleinen Pinsel sorg-
fältig angefeuchtet [lieber angespritzt] werden,
damit sie sich lückenlos mit dem neuen Be-
wurf verbinden; dabei ist darauf zu achten,
dass das bereits Gemalte nicht verschmiert
werde. Am besten ist es, von oben anzu-
fangen, da dann nicht zu befürchten ist, dass
von einem neuen Stück Feuchtigkeit über
ein schon gemaltes laufe.

Gerät ein Stück nicht, so muss es voll-
ständig weggeschnitten und neu hergestellt
werden; teilweise Entfernung geht mit Rück-
sicht auf die Umrisse nicht an.

Das Verfahren eines italienischen Fresko-
malers aus der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts, der seine Technik aus leben-
diger Tradition hatte, wird folgendermassen
geschildert: er hatte nur zwei Töpfe bei sich,
einen mit reinem Kalk, den andern mit
einer sehr blassen Fleischfarbe. Statt der
Palette hatte er einen Tisch, der mit einer
breiten Schieferplatte belegt war. Auf diese
Schieferplatte trug er mit einem Messer seine
Farben auf, die alle rein waren, nur mit
Wasser gemischt und ziemlich dick, etwa ein
bis zwei Unzen von jeder. Jeden Ton mischte
er nach Bedarf, indem er bald von der Fleisch-
farbe, bald vom Weiss hinzunahm. Die Töne
probierte er erst auf einem neben ihm liegen-
den Aschenklumpen [Schlacke oder Bimstein],
der das Wasser sofort aufsog und daher das
Aussehen der getrockneten Farbe zeigte. Sein
Malstock war an der Spitze mit Baumwolle
umwickelt. Die Farbe trug er sehr dünn
auf, wie beim Aquarell, und Hess sie jedes-
mal etwa zehn Minuten einziehen, bevor er
sie von neuem überging. Zu letzterem Zweck
verwendete er anfangs die gleiche Mischung,
nahm sie aber mit jedem weiteren Mal immer

tiefer. Nachdem er so eine halbe Stunde
gearbeitet, machte er eine Pause von etwa
zehn Minuten, die er zum Mischen von
kräftigeren Tönen benutzte. Mit diesen ver-
stärkte er nun die Schatten und Lichter, und
machte dabei die Umrisse genauer; mit einem
Pinsel oder auch mit etwas Wasser milderte
er dann das Gemalte. Nach einer weiteren
Pause von zehn Minuten fügte er noch einige
Haupt-Lichter und -Schatten hinzu. Das
alles that er so leicht wie möglich, um den Be-
wurf nicht anzugreifen. — Bei sehr warmer
Temparatur hat freilich das Uebergehen mit
derselben Farbe nach ein paar Stunden den
entgegengesetzten Erfolg: die Farben würden
nicht dunkler sondern heller werden.

Retuschen

Die Gewöhnung, Fresken trocken zu über-
malen (mit einer Lösung von rohem Ei und
Essig) mag ursprünglich von der Verwendung
dünner Bewurfschichten auf Stein, die nicht
lange feucht erhalten werden konnten, her-
gekommen sein; was im Laufe des Tages in
Fresko nicht hatte fertiggemacht werden
können, wurde so auf trockenem Wege be-
endigt. Solche Retuschen verblassen aber nach
wenig Jahren, oder auch sie dunkeln nach.

Michelangelos „Jüngstes Gericht" enthält
viel Linienschraffierung, die sehr sorgfältig
und regelmässig ohne Kreuzung in Tempera
aufgetragen ist. Raphaels Fresken im Helio-
dorszimmer, die bestgemalten seiner vatika-
nischen Fresken, enthalten dagegen so gut
wie gar keine trockenen Retuschen. Die
Linienschraffierung auf seinen übrigen Fresken
daselbst wird auf Carlo Marattas spätere
Retuschen zurückzuführen sein. Zu solchen
Retuschen ist wohl gegriffen worden teils
wegen der Schwierigkeit, grössere gleich-
mässige Farbflächen aufzutragen, teils weil
zu grosse Flächen auf einmal in Angriff ge-
nommen wurden, so dass der Maler keine
Zeit hatte, darauf zu warten, dass die ersten
Farbschichten sich mit der Mauer verbanden,
um sie nochmals breit zu übergehen. Auf
die Durchsichtigkeit musste in solchen Fällen
verzichtet werden.

Arbeitszeit

Zum Schluss noch einige Angaben über
die Dauer der Arbeit an einzelnen Fresken.
Aus der Zahl der einzelnen je in einem Tage
gefertigten Stücke kann gefolgert werden, dass
Raphaels Burgbrand in etwa vierzig Tagen,
die Gruppe des Aeneas darin in drei Tagen
ausgeführt wurde; die drei Grazien in der
Farnesina aber in höchstens fünf Tagen.

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