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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Muthesius, Hermann: Zeichenunterricht und "Stillehre"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0513

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-a-s^> ZEICHENUNTERRICHT UND „STILLEHRE'

PAUL CRODEL SO.WM ERMORGEN

Ausstellung 1900 der Münchener Secession

Dasselbe in den zahlreichen, meist direkt von
dem South Kensington - Museum abhängigen
Kunstschulen des Landes. Auf keiner der
Schulen findet etwas Aehnliches wie Stil- und
Geschmackslehre statt. Man ist in neuerer Zeit
viel eher dazu übergegangen, dem Schüler die
Kenntnis des historischen Ornamentes vorzu-
enthalten, um ihm erst einen Bestand an selbst
aus der Pflanze entwickeltem Ornament ge-
winnen zu lassen. Kann er sich dann erst
auf dieser zu seinem Eigentum gewordenen
Grundlage einigermassen bewegen, so mag
er sich das historische Ornament ansehen,
es vermag jetzt keinen Schaden mehr bei
ihm anzurichten, er sitzt im eigenen Sattel.

Auf solche Weise ist der selbständige, neu-
zeitliche Ornamentstil Englands entstanden.
Aber auch in den rein malerischen Künsten
hat ein ähnlicher Eifer stattgefunden. Die
ganze jetzige Generation hat gut Zeichnen
und Aquarellmalen gelernt, so dass man den
Gebrauch von Griffel und Pinsel heute von
jedem Gebildeten voraussetzen kann. Und
ein weit verbreiteter Dilettantismus trägt die
ganze heutige Kunstbewegung in England.
Daher die grosse Volkstümlichkeit der Prä-
raffaeliten-Schule, der wir in Deutschland, wo

man vor einem erhabenen Bilde wie Klinger's
Christus im Olymp faule Witze macht und
selbst ein Bocklin dem breiteren Volke
(selbst dem „gebildeten" Teile desselben) noch
immer fremd ist, nichts an die Seite setzen
können. Und nun vollends der Unterschied,
der sich in den angewandten Künsten, den
eigentlichen in das Haus gehörenden Klein-
künsten hüben und drüben geltend macht!
Es erscheint in Deutschland wohl heute kaum
glaublich, dass sich selbst hier ein breiter
dilettantischer Beitrag des Volkes herausge-
bildet hat und zwar auf bester künstlerischer
Grundlage. Doch dies ist ein Gebiet, das
in diesem Zusammenhange zu entwickeln zu
weit führen würde.

Hier lag es mir nur am Herzen, den Stand-
punkt zu beleuchten, dass man mit Vorträgen
über Geschmacks- und Stillehre das allge-
meine künstlerische Verständnis heben oder
gar das künstlerische Bedürfnis des Menschen
befriedigen könne. Gegenüber der bei
uns immer wieder hervortretenden Nei-
gung, in der Kunst zu systematisieren, zu
philosophieren und zu spekulieren, erscheint
es am Platze, immer von neuem darauf
hinzuweisen, wo die eigentliche Pforte für

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