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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Pecht, Friedrich: Die Jahres-Ausstellung im Münchener Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0549

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-a-s^> DIE JAHRES-AUSSTELLUNG

nierende Rolle gespielt. Natürlich steht hier
Lenbach vorne an, der in ein paar Damen-
bildern sogar noch einen so entschiedenen
Fortschritt beweist, wie man ihn bei einem
Sechziger eigentlich nicht mehr sucht. Bei
Lenbach hat man aber immer auch noch sein
grosses dekoratives Talent zu bewundern, da
er regelmässig die so auffallend schöne Aus-
schmückung der Säle leitet. Nächst Lenbach
imponiert am meisten Fr. Aug. von Kaulbach,
der mehrere grosse Saal wände mit seinen Bildern
(vergl. die Abbildungen a. S. 537 u. 538) gefüllt,
auch wenn sich unter denselben nicht die edle
Gestalt unserer schönen Kaiserin mit ihrem
lieblichen Töchterchen befände, oder der alle
Kaiser und Könige in der Tasche führende Mime
Possart, der ganz sprechend ähnlich geraten.

Dass die Bildnisse aber nicht nur an
Zahl, sondern auch an künstlerischem Werte
so überwiegen, das ist denn doch kein Zu-
fall, sondern hängt mit dem ganzen Gange
unserer deutschen Kunst — wie politischen
Entwicklung aufs genaueste zusammen. So
lange wir keine grossen Staatsmänner und
Feldherrn selber besassen, suchten wir
ihren Mangel durch die Malerei zu er-
gänzen, die daher uns zu zeigen suchte, wie
die Helden des trojanischen Krieges aus-
gesehen haben dürften, also ganz idealistisch
ward. Seit aber die Kaiser Wilhelm, Bis-
marck und Moltke unserem Heldenmangel
so glänzend abgeholfen, kehrte unsere Kunst
mit Vergnügen zu der Wirklichkeit zurück
und setzte an die Stelle der trojanischen
Helden die einheimischen, sie ward realistisch.

Der mächtiggestiegene Stolzauf unsere Gegen-
wart, die Freude am eigenen nationalen Leben
und nicht am wenigsten an unserer Natur
sprechen von jeder Wand dieser Ausstellung
herab.

Man müsste aber die Deutschen und ihren
sie seit Julius Cäsar bis heute gleich stark
beherrschenden Absonderungstrieb nicht
kennen, wenn man glaubte, dass sie das nun
ohne weiteres sich und anderen eingeständen.
O nein, im Gegenteil war die Parteiung nie
ärger als jetzt, wo man sich so ungeniert
gehen lassen konnte. Fast jeder Saal ge-
hört einer eigenen Künstlergesellschaft, die
um keinen Preis mit ihren Nachbarn ver-
wechselt werden möchte. Wie der Stutt-
garter den Canstatter, der Augsburger den
Münchener aufs tiefste verachtet, so thun das
hier auch die „Luitpold"- und die Frankfurter
und Cronberger Gruppe, die „badischen" und
„schwäbischen" Künstler, die „Gesellschaft für
christliche Kunst" und die „Jugendgruppe"
der Allerjüngsten, die sich heuer als „Scholle"
etabliert hat u. s. f.

Dennoch hat wohl noch nie deutsche Kunst
einen so scharf ausgesprochenen, ganz einheit-
lichen und harmonischen Eindruck hervor-
gebracht, als gerade auf dieser Ausstellung,
welche für die endlich in vollem Gang be-
findliche rasche Umbildung der Deutschen zu
einer wirklichen grossen Nation sehr auffal-
lende Belege bringt. So z. B., dass sich ein
auffallenderMangel an sogenannten „Schlagern"
zeigt, — ein schwer verständliches, aber trotz-
dem reizvolles Bild von Raffael Schuster-

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