Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

DOI Artikel:
Pecht, Friedrich: Die deutsche Kunst an der Wende des Jahrhunderts, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0561

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
-b-s^> DIE DEUTSCHE KUNST

sich im Lauf der Zeit gewaltig zu ändern
pflegen. Der Pulsschlag, die Handschrift
bleibt aber nur bei jenen unverändert.

So ist denn vor allem festzustellen: Jede
neu anbrechende Kunstperiode charakteri-
siert sich nicht etwa dadurch, dass sie
Dinge, welche die früheren schon vortrefflich
gemacht, noch besser herzustellen sucht,
was in der Regel ein fruchtloses Beginnen
wäre, sondern dass sie dem Reich der Kunst
neue Provinzen erobert. Ein neuer Stoff-
kreis bedingt aber immer auch eine neue
Form, und so entstehen denn jene grossen
Erweiterungen der Darstellung nicht nur,
sondern ganz besonders der Behandlung, die

CARL HARTMANN FRAU AVENTIURE

Münchener Glaspalsst 1900 (Luitpold-Gruppe)

fast jedes Jahrhundert, wenigstens des zweiten
Jahrtausends unserer Zeitrechnung, charak-
terisieren. Um so mehr ist das der Fall,
als ziemlich regelmässig auch die Initiative
immer an eine andere Nation überging, also
auch ihrem besonderen National-Charakter
mehr oder weniger entsprach. Hatten schon
die Römer den griechischen Baustil ganz
ihren Bedürfnissen angepasst — in der Bau-
kunst treten diese Aenderungen überhaupt
immer am deutlichsten auf — so hatte das
Christentum, sobald es zur Herrschaft kam,
sofort den altchristlichen Stil erfunden und
eingeführt, der schon stark mit germanischen
Elementen durchsetzt ist, wie sie vor und
unter Karl dem Grossen sich rasch ent-
wickelten und dann zunächst in die Lombardei
übersiedelten.

Ist alle Kunst aus dem tief in der mensch-
lichen Natur begründeten Bedürfnis der Ver-
zierung hervorgegangen, das man ja schon
bei den Geräten der Höhlenbewohner lange
vor aller Baukunst bethätigt Findet, so erklärt
sich daraus wie aus der Anbequemung an
das jeweilige Material auch die merkwürdige
Harmonie des Stiles bei Figuren, Zier-
und Bauformen. Hatten also — um ein
Jahrtausend der deutschen Kunstentwick-
lung hier zu übergehen — die Künstler
der das neunzehnte Jahrhundert eröffnenden,
edle antike Formen mit der ärgsten Philisterei
so rührend verbindenden Biedermayerzeit
ihre Misshandlung der Antike nicht nur auf
die Bauformen, sondern auch auf die Haar-
beutel und Zöpfe der deutschen Spiessbürger
am Ende des achtzehnten Jahrhunderts aus-
gedehnt, so war es ganz natürlich, dass der
Held der neuen deutschen Kunstperiode,
Cornelius, nicht nur auf die Nibelungen
im DüRER'schen Stile, sondern sehr bald
auch erst auf die Antike, dann auf Raffael
und Michelangelo zurückgriff, genau wie
Schinkel und Klenze Empire und Antike
in ihren Bauten oft sehr wunderlich mischten.
Kaulbach und Kreling setzten das fort,
kamen aber dabei dem Naturalismus der
Niederländer schon etwas näher, zu dem
Piloty dann ganz überging und ihn nur mit
dem der modernen Franzosen mischte, wie
denn, wenigstens in Deutschland, niemals
eine neue Kunstperiode ohne Seitenblicke
auf diese glänzend begabten Nachbarn auf-
kam. Die PiLOTY'schen Historien entsprechen
aber trotz alledem den NEUREUTHERschen
Bauten mehr, als man gewöhnlich glaubt, weil
eben jede neue Kunstperiode all ihren Erzeug-
nissen gewisse gemeinsame Züge aufdrückt,
die dann erst spätere Zeiten wahrnehmen.

542
 
Annotationen