-wSÖ> WIENER FRÜHJAHR-AUSSTELLUNGEN
sich Van der Stappen, Rodin, der Leipziger
Seffner und der Italiener Canciani (Dante-
monument) verdient. Mit Wucht drückt der
gewaltige Belgier auf seine Mitgenannten,
selbst auf Rodin. Seine Bronzen allein (Der
Gegeisselte) hätten genügt, um diesersiebenten
Ausstellung Glanz zu verleihen. Und diese
herb-liebliche, fromm Gerüstete in Elfenbein
und Silber! Solche Zartheit bei sonst so
viel Kraft. Wie ist doch dieses Belgien mit
bildnerischer Kunst gesegnet!
Künstlerhaus
Der Kaiser hat auch die heurige, sicben-
undzwanzigste Jahresausstellung eröffnet. Fühl-
bare Wandlungen haben sich in den letzten
Jahren unter der weiss-roten Flagge vollzogen.
Schutt wurde hinweggeräumt, Jungsaat geht
auf. In dreiundzwanzig Räumen sind vier-
hundertfünfundsiebzig Kunstwerke verteilt.
Mit einem raschen Ueberblick sondert man
leicht das Verwandte, Zusammenstrebende. Im
grossen Ganzen nicht viel Farbenfreudigkeit,
fast keine Frauenschönheit, gar kein Humor.
Das sind ja nahezu verpönte Dinge. Vom Aus-
lande haben die Engländer das stärkste Kon-
tingent geliefert, Paris hat einfach seine
Visitenkarte abgegeben, die Worpsweder und
die Luitpoldgruppe treten mit ungleichem Erfolg
für Deutschland ein. Kuriositäten brachten
ein Münchener und ein Skandinave; das beste
Bildnis ist von einem rasch emporgewachsenen
Ungarn, unter den Wienern sind die Land-
schafter am stärksten, ausserdem wurden zwei
slavische Landschafter modernsten Bekennt-
nisses entdeckt; die hervorragendste Plastik
trägt belgische, englische, italienische Signatur.
So hätten wir orientierend hier und dort ange-
tupft und können auf das Bemerkenswerteste
in Kürze eingehen.
England voran. Der Gesamteindruck ist
ein nobler; schnöes Mass, künstlerische Wohl-
anständigkeit herrschen vor, das Kunstniveau
ist durchgängig ein hohes. Ein eigentlich
allererstes Werk wüsste ich allerdings nicht
zu nennen, aber es sind Köstlichkeiten da.
Das seltenste Blatt vielleicht ist eine Rötel-
zeichnung (Männlicher Studienkopf) von dem
verstorbenen Gründer des englischen Prä-
raphaelismus, Rossetti, der meines Wissens
niemals in Wien ausgestellt hat; ein anderer
Abgeschiedener, Burne-Jones, ist durch
einige seiner sanftschönen Meisterzeich-
nungen „Venus Concordia" vertreten; Moira
malt Maeterlinck: „Peleas und Melisande",
ein Rätsel; die süssliche „Isolde" des jüngst-
verstorbenen Stott of Oldham verdient die
Ehrenwand nicht; eine stark persönliche
Bildniskunst bieten John da Costa „Dame
in Schwarz" und Steer „Chinchilla", letzterer
allerdings mit äusserster Pinseldreistigkeit.
Vom Maler-Bildhauer Anning Bell sind mir
seine Illustrationen und seine zierlichen Bunt-
reliefs lieber, als sein Oelbild „Adagio" mit
den diskret tanzenden und musizierenden
Mädchen; bei des düsteren Mac Gregor
Kreidezeichnungen „Urteil" hat man eine
leise Gänsehaut; Hitchcock bringt eine hol-
ländische Braut in Lebensgrösse — diesmal
zur Abwechslung nicht unter Lilien, sondern
unter Tulpen, dass es nur so leuchtet; zu
den bekannten Landschaftsmeistern Parsons,
Cameron, East tritt, hier neu, der kräftige Lind-
ner Moffat: „Sturmwolke"; Henry Tonks's
„Schäferspiel" erinnert an Watteau; über
Reid und Pearce nichts Neues. Englische
Plastik findet durch Onslow Fords, des
heute vielleicht ersten Bildnisplastikers Eng-
lands, Victoria-Büste (Bronze), in Coltons
Brunnennixe und Reynold-Stephens' zartem
Bronzerelief „Jugend" vornehmste Vertretung.
Fast zu wuchtig treten diesmal die Worps-
weder auf. Mit draussen meist Bekanntem,
worunter der lebensgrösse Bauer Mackensens,
der die „Scholle" mit einem Mädchengespann
eggt; nicht weil, sondern trotzdem dies feier-
lich beredte Bild gross ist, hat es Grösse.
Vinnen bringt drei umfangreiche, grosszügige
Landschaften; auch der malende Märchenpoet
Vogeler und Hans am Ende beeinträchtigen
die Wirkung einigermassen durch das Gross-
format, für welches ihre Technik doch nicht
ganz ausreicht. Eine machtvolle Herbstland-
schaft des Belgiers Courtens, die in ihrer
Nähe hängt, zeigt, was den Worpsweder Gross-
bildern fehlt. Auch die Malbrüder Georg und
RafFael Schuster-Woldan von der Luitpold-
gruppe wollen mit dem grossen Apparat mehr
sagen als sie können; mit „Auf freier Höhe"
hat Raffael mehr Erfolg, als Georg mit seinen
Märchenscenen. Firle's „Heilige Nacht" be-
friedigt, ohne nachhaltig zu wirken; grosse,
ernste Landschafter sind Baer und Urban;
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sich Van der Stappen, Rodin, der Leipziger
Seffner und der Italiener Canciani (Dante-
monument) verdient. Mit Wucht drückt der
gewaltige Belgier auf seine Mitgenannten,
selbst auf Rodin. Seine Bronzen allein (Der
Gegeisselte) hätten genügt, um diesersiebenten
Ausstellung Glanz zu verleihen. Und diese
herb-liebliche, fromm Gerüstete in Elfenbein
und Silber! Solche Zartheit bei sonst so
viel Kraft. Wie ist doch dieses Belgien mit
bildnerischer Kunst gesegnet!
Künstlerhaus
Der Kaiser hat auch die heurige, sicben-
undzwanzigste Jahresausstellung eröffnet. Fühl-
bare Wandlungen haben sich in den letzten
Jahren unter der weiss-roten Flagge vollzogen.
Schutt wurde hinweggeräumt, Jungsaat geht
auf. In dreiundzwanzig Räumen sind vier-
hundertfünfundsiebzig Kunstwerke verteilt.
Mit einem raschen Ueberblick sondert man
leicht das Verwandte, Zusammenstrebende. Im
grossen Ganzen nicht viel Farbenfreudigkeit,
fast keine Frauenschönheit, gar kein Humor.
Das sind ja nahezu verpönte Dinge. Vom Aus-
lande haben die Engländer das stärkste Kon-
tingent geliefert, Paris hat einfach seine
Visitenkarte abgegeben, die Worpsweder und
die Luitpoldgruppe treten mit ungleichem Erfolg
für Deutschland ein. Kuriositäten brachten
ein Münchener und ein Skandinave; das beste
Bildnis ist von einem rasch emporgewachsenen
Ungarn, unter den Wienern sind die Land-
schafter am stärksten, ausserdem wurden zwei
slavische Landschafter modernsten Bekennt-
nisses entdeckt; die hervorragendste Plastik
trägt belgische, englische, italienische Signatur.
So hätten wir orientierend hier und dort ange-
tupft und können auf das Bemerkenswerteste
in Kürze eingehen.
England voran. Der Gesamteindruck ist
ein nobler; schnöes Mass, künstlerische Wohl-
anständigkeit herrschen vor, das Kunstniveau
ist durchgängig ein hohes. Ein eigentlich
allererstes Werk wüsste ich allerdings nicht
zu nennen, aber es sind Köstlichkeiten da.
Das seltenste Blatt vielleicht ist eine Rötel-
zeichnung (Männlicher Studienkopf) von dem
verstorbenen Gründer des englischen Prä-
raphaelismus, Rossetti, der meines Wissens
niemals in Wien ausgestellt hat; ein anderer
Abgeschiedener, Burne-Jones, ist durch
einige seiner sanftschönen Meisterzeich-
nungen „Venus Concordia" vertreten; Moira
malt Maeterlinck: „Peleas und Melisande",
ein Rätsel; die süssliche „Isolde" des jüngst-
verstorbenen Stott of Oldham verdient die
Ehrenwand nicht; eine stark persönliche
Bildniskunst bieten John da Costa „Dame
in Schwarz" und Steer „Chinchilla", letzterer
allerdings mit äusserster Pinseldreistigkeit.
Vom Maler-Bildhauer Anning Bell sind mir
seine Illustrationen und seine zierlichen Bunt-
reliefs lieber, als sein Oelbild „Adagio" mit
den diskret tanzenden und musizierenden
Mädchen; bei des düsteren Mac Gregor
Kreidezeichnungen „Urteil" hat man eine
leise Gänsehaut; Hitchcock bringt eine hol-
ländische Braut in Lebensgrösse — diesmal
zur Abwechslung nicht unter Lilien, sondern
unter Tulpen, dass es nur so leuchtet; zu
den bekannten Landschaftsmeistern Parsons,
Cameron, East tritt, hier neu, der kräftige Lind-
ner Moffat: „Sturmwolke"; Henry Tonks's
„Schäferspiel" erinnert an Watteau; über
Reid und Pearce nichts Neues. Englische
Plastik findet durch Onslow Fords, des
heute vielleicht ersten Bildnisplastikers Eng-
lands, Victoria-Büste (Bronze), in Coltons
Brunnennixe und Reynold-Stephens' zartem
Bronzerelief „Jugend" vornehmste Vertretung.
Fast zu wuchtig treten diesmal die Worps-
weder auf. Mit draussen meist Bekanntem,
worunter der lebensgrösse Bauer Mackensens,
der die „Scholle" mit einem Mädchengespann
eggt; nicht weil, sondern trotzdem dies feier-
lich beredte Bild gross ist, hat es Grösse.
Vinnen bringt drei umfangreiche, grosszügige
Landschaften; auch der malende Märchenpoet
Vogeler und Hans am Ende beeinträchtigen
die Wirkung einigermassen durch das Gross-
format, für welches ihre Technik doch nicht
ganz ausreicht. Eine machtvolle Herbstland-
schaft des Belgiers Courtens, die in ihrer
Nähe hängt, zeigt, was den Worpsweder Gross-
bildern fehlt. Auch die Malbrüder Georg und
RafFael Schuster-Woldan von der Luitpold-
gruppe wollen mit dem grossen Apparat mehr
sagen als sie können; mit „Auf freier Höhe"
hat Raffael mehr Erfolg, als Georg mit seinen
Märchenscenen. Firle's „Heilige Nacht" be-
friedigt, ohne nachhaltig zu wirken; grosse,
ernste Landschafter sind Baer und Urban;
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