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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Wolf, Georg Jacob: Zum fünfzigsten Jahrestag der "Kunst für Alle"!
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0006

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In der Geschichte der deutschen Kunst gibt es, wie
in der Geschichte der Nation, einen ständigen Wech-
sel von auf und ab, von Höhen und Tälern der Ent-
wicklung. Etwa um 1880 herum war wieder einmal
ein besonderer Tiefstand erreicht. Das ist nicht so
zu verstehen, als ob damals der deutschen Kunst die
großen Persönlichkeiten und die großen Werke
ganz und gar gefehlt hätten. Menzel, Hans Thoma,
Böcklin, W. v. Diez standen in Kraft und Geltung,
noch lebte der alte Spitzweg, den man freilich noch
nicht in seiner ganzen Bedeutung erkannt hatte,
Wilhelm Leibi schuf in der Abgeschiedenheit klei-
ner Orte Oberbayerns, Hans von Marees und Adolf
Hildebrand lebten zwar in Italien, wo soeben An-
selm Feuerbach sein leid- und schicksalsreiches Le-
ben vollendet hatte, sie fühlten sich aber doch ganz
als Deutsche und hatten den Zusammenhang mit
der alten Heimat nicht verloren. In der Baukunst
gärte es und regte es sich; auch an geistvollen
Kunstinterpreten war kein Mangel: noch wirkte
der betagte Friedrich Pecht; Fiedler, Bayersdorf er,
Burckhardt, Lichtwark, Tschudi, Georg Hirth tra-
ten mit ihren Schriften oder mit musealen Leistun-
gen hervor.

Dessen ungeachtet bestand in der öffentlichen Gel-
tung und Meinung die bildende Kunst nicht neben
der Musik und der Literatur, die sich damals schon
zu einem durchgreifenden Verjüngungsprozeß an-
schickten. Einem Richard Wagner hatte man —
wenigstens an dem Grad der Volkstümlichkeit und
des Eindringens seiner Werke in die Volksseele —
sicher keinen Maler oder Bildhauer von ähnlicher
Reichweite entgegenzustellen, und zweifellos waren
Dichter wie Geibel, Heyse, Storni, Fontane, Keller,
Freytag damals weit berühmter, wurden in höherem
Maße als Künder des deutschen Wesens angesehen
als die bekanntesten Maler und Bildhauer.
Grund dieses Zustandes war die schlecht entwik-
kelte, allzusehr auf das Naheliegende und Banale
gerichtete Kunstgesinnung des Volkes. Man wies
alles Besondere, Eigenartige, Originale zurück, ver-
gnügte sich auf den Ausstellungen am geistig Wohl-
feilen, fand Gefallen am „Kitsch", der auch in den
illustrierten Familienblättern mehr als billig pro-
pagiert wurde; man verlangte nach „Sensationen",
nach „gemalten Unglücksfällen"", wie sich Schwind
einst ausgedrückt hatte, und vergaß darüber ästhe-
tische Grenzen, gute Malerei und die Gemütswerte
der Kunst. Vollends in der Architektur, kirchlicher
wie profaner, im Städtebau und in dem durch den
wachsenden Wohlstand des deutschen Volkes geför-
derten Wohnhausbaü herrschte vollkommener Un-
geschmack, der auch auf den Hausrat und auf die
Innendekoration, auf Schmuck und Kleidung über-
gegriffen hatte.

Man mußte also elementar beginnen, um das deut-
sche Volk wieder für die Kunst zu gewinnen, es zur
Kunst zu erziehen. Dafür schien eine volkstümliche,
schlicht angelegte Kunstzeitschrift am ehesten ge-
eignet. Es mußte gelingen, ihr eine starke Resonanz
zu schaffen und ihre Wirksamkeit in alle Kanäle
des Volkes, zumal in die gebildeten Schichten, zu
leiten. So war es eine Tat von grundlegender Be-
deutung, daß im Sommer 1885 die Verlagsanstalt
für Kunst und Wissenschaft, vormals F. Bruck-
mann in München, mit dem Plane einer Kunstzeit-
schrift hervortrat.

Diese Zeitschrift sollte und wollte sich an alle wen-
den und trug dieser Absicht und diesem Umstand
schon in ihrem Titel Rechnung: „Die Kunst für
Alle." Ihr ausgesprochener Wille war, „der deut-
schen Kunst den breiten Raum wieder zu erobern,
der ihr im Laufe der letzten Jahrhunderte abhan-
den gekommen ist". Es war den Gründern der
Zeitschrift klar, daß dies nur dadurch möglich sein
konnte, wenn das ganze Volk aufgerüttelt wurde.
Eine gelehrte Zeitschrift vermöchte es nicht, die
Künstler allein brächten es auch nicht zustande;
daran gab es keinen Zweifel. Der Zeitpunkt der
Gründung war richtig gewählt: gerade in dieser
Phase der scheinbaren Hoffnungslosigkeit fanden
sich die gläubigen, aufnahmsbereiten, gleichsam
nach einer Führung lechzenden Gleichgesinnten
zusammen: es galt nur, ihnen das wirklich Echte,
Dauernde und Zukunftssichere der bildenden Kunst
zu bieten und für die Vermittlung die geeignete
Form zu finden.

Die Ankündigung der Zeitschrift enthält einige be-
deutungsvolle Sätze, die uns heute wohl selbstver-
ständlich erscheinen, die dies aber keineswegs vor
einem halben Jahrhundert waren. Es heißt da: ..An
Stelle der Anschauung stand bisher zu ausschließ-
lich das geschriebene Wort. Uber Kunst wird wohl
geredet, aber ihre Werke selbst werden nur in ge-
ringem Maße dem Genuß dargeboten." Gerade da-
mals war die Entwicklung der „vervielfältigenden
Künste", wie man die Autotypie und die verwand-
ten Verfahren nannte, auf einem Punkt angelangt,
der zwrar noch sehr weit von der Vollkommenheit
entfernt war, aber doch die Möglichkeit bot, bil-
lige und getreue, den leicht fälschenden Holz-
schnitt unnötig machende Wiedergaben der Kunst-
werke sprechen zu lassen. Und dies „Sprechen-las-
sen" ist fast wörtlich zu nehmen: man bot die
Kunstwerke dar, ohne viel über sie zu sagen, ohne
sie ästhetisch, inhaltlich, technisch zu erklären —
das überließ man ihnen selbst und hoffte, damit die
Anschauungskraft und das Urteilsvermögen des
Betrachters zu wecken, zu fördern, zu stärken. Was
den textlichen Teil anlangte, so sollte er „launig
 
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