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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Tietze, Hans: Piotr Michalowski
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0041

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Tierschilderers kontrollieren der Naturforscher und
der praktischeLandwirt. Dadurch gewinnen sie eine
Fülle, die gewissermaßen aus der einen Dimension
bloßer künstlerischer Gestaltung hinausführt: alles
ist nicht nur gesehen, sondern auch gewußt, ist
nicht nur Form und Farbe, sondern ein Stück be-
seelter und begriffener Natur. Das gibt seinen Bild-
nissen und Pferdebildern, wie seinen Militärszenen
ihren besonderen Platz.

Für den oberflächlichen Betrachter zerfällt Micha-
lowskis Lebenswerk in lauter Entwürfe, Studien
und Fragmente, die sich nirgends zur monumen-
talen Hauptleistung zusammenfügen: aber diese
Bruchstücke sind Teile einer geistigen Einheit und
daher jedes in sich naturhaft vollkommen und ge-
schlossen. Was sie geben, ist nicht bloß ästhetischer
Schein, sondern volles Sein, selbstverständliche Le-
bensfülle. Michalowskis Kunst, die nie irgend wel-
chen praktisch materiellen Erwägungen zu dienen
brauchte und nur sich selbst zu genügen hatte, ist
dennoch — oder deshalb — das Gegenteil von l'art
pour l'art: sie ist Ausdruck größeren menschlichen
Reichtums, der sich in vielen Richtungen entlädt,
dessen Äußerungen aber immer organisch zusam-
menhängend und einheitlich bleiben. Der Künstler

Piotr Michalowski. Vorwärtsstürmender Stier

ist nicht zufällig ein Sohn Goetheschen Zeitalters,
er ist ein Verwandter Goetheschen Geistes: die
Welt, ob er sie darstellt, durchforscht oder verschie-
dentlich praktisch gestaltet, ist ihm eins.
Das gibt ihm die Lberlegenheit über jene Maler,
mit denen er schulmäßig, d. h. durch die Besonder-
heit seines formalen Ausdrucksbedürfnisses und
durch die Gesetzlichkeit zeitlicher Bindung zusam-
mengehört: sie haben, Nichtsalskünstler, ihre Welt-
deutung lediglich aus einer sich zur Großartigkeit
steigernden Einseitigkeit entwickelt und dadurch
eine Vollkommenheit erreicht, die allerdings mit
einer Art von \ irtuosentum erkauft ist: er aber
wird nicht Sklave der Kunst, die den Organismus,
aus dem sie wächst, daher nicht zu dessen Schaden
überwuchert. Es ist kein Zufall, daß Michalowskis
Wiederentdeckung gerade in einem Augenblick er-
folgt, in dem wir uns der Gefährlichkeit, wenn-
gleich bisweilen Großartigkeit einseitig künstleri-
scher Einstellung bewußt zu werden beginnen: der
Künstlertvp, den er hochwertig und reizvoll dar-
stellt, bedeutet vielleicht für eine werdende Welt,
der Kunst nur ein besonderes Ausdrucksmittel grö-
ßerer Lebensfülle sein sollte, Beispiel und Ent-
deckung.

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