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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Pinder, Wilhelm: Zum "Bilde des Monats" (Dezember 1934): Dürer: Anbetung des Kindes
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0134

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einheit des Volkes und: als einer fast familienhaften
Xälie zwischen dem Göttlichen und dem Mensch-
lichen. Dies sieht man erst richtig wieder, nachdem
vor Jahren eine Wiederherstellung des alten Bildzu-
standes die kleinen Gestalten der Stifterfamilie
wieder herausgeholt hat. Xun knien diese Menschen
in fast winziger Kleinheit mit einem wunderbaren
Ausdruck von frommem Glauben und froher Gottes-
nähe zu Füßen der heiligen Gestalten. Sie sind so
klein nur aus Demut. Das ist eine früher von jedem
verstandene Sprache: je größer die Bedeutung einer
Gestalt, desto größer ihr Maßstab. Die Stifter dür-
fen nicht so groß sein wie das, was sie anbeten. So
klein aber dürfen sie dann auch in den Baum des
Heiligen eintreten. Auch ihre Farben sind zurück-
gedämpft. Sie haben einen geringeren Grad von
Wirklichkeit. Die innere Wahrheit siegt über die
bloße Bichtigkeit! Diese lebendigen Menschen sind
weniger wirklich als die im frommen Traume er-
schauten Gestalten. Sie sind aber auch ein Formen-
ausklang. Denn zwischen den großen Figuren des
heiligen Paares liegt das Christkind, von kleinen
Engeln umgeben: es hat fast graublondes Haar, und
blond, leicht verdunkelt nach der Baumtiefe hin,
sind auch die Engelkinder. Sie bilden eine eigene
himmlische Familie, eine kleine, fröhlich zappelnde
Welt, die Kinder-Weihnachtswelt. Das Armchen
des Christkindes hebt sich tastend hoch — das
wirkt für das Auge wie Kinderlallen für das Ohr.
Diese Gruppe klingt nach rechts und links in den
Stiftergruppen aus. Ein Dreiecksbogen ist um die
großen Gestalten herumgelegt, wie ein unterer Tan-
nenkranz um den Stamm des Weihnachtsbaumes.
Maria aber, in tiefem Blau, und Joseph, in verschie-
denen, auf das feinste abgetönten Bots gekleidet,
sind schräg durch das Bild gestellt. Hinter der Mut-

ter blicken Ochs und Eselein durch — zwischen
Bundbogen! Da hat auch Dürer alte Formen ge-
nommen, auch er hat sich der Väter erinnert! Denn
so haben unsere Väter (lange vor Dürer!) länger
und lieber gebaut, als unsere französischen Nach-
barn, die schon längst den dürren Spitzbogen gefun-
den hatten, als wir noch auf stämmige Bundschäfte
die schöne, klare und große Form des deutschen
Säulenkopfes setzten und darüber runde Bogen
wölbten, stämmig und breit. Links hinter Joseph aber
blickt noch ein alter, ferner Mann demütig hinüber
(ein zweiter hinter ihm ganz im Schatten), und ge-
radeaus im Hintergrunde steigen zwei Hirten hinauf,
in fröhliche Farben gekleidet: also links, rechts und
in der Bildtiefe jedesmal zwei Gestalten gepaart,
Xoch viel weiter hinten sind Hirten auf dem Berge,
denen die Engel singen. Da schwingt ein seliges,
eisliaftes Blau sich hoch, und eine seltsame Sonne
erscheint links über den Trümmerbogen. Von allen
Seiten ist so das Heilige umstellt und umklungen,
nach allen Seiten strahlt es aus. Wie in fernen Ant-
wortgesängen klingt aus Menschen, Tieren, Pflanzen
und Bauten gleichsam die ganze Welt mit: Winter-
sonnenwende. Und für uns alle mit verharrt vorne
jene unbekannte deutsche Familie, die ihre zahllosen
unbekannten Verwandten noch unter uns Heutigen
wissen dürfte. Uns alle vertritt sie als unsere Vor-
fahrenschaft in einer Gemeinschaft der Hoffnung.
Nicht nur der Wende dieses einen Winters gilt diese
Hoffnung. Wir verehren hier das Sinnbild der
großen Wende, die wir noch in schwerster Arbeit
uns erst verdienen wollen, um endlich ein freies
und glückliches Deutschland zu schaffen, dem jene
frommen unbekannten Ahnen, die demütig und stark
zugleich auf das Ewige schauen, wie beruhigt und
getröstet zuwinken können.

IL

Vortrag, gehalten am 15. Dezember 1954

Es soll heute ein Versuch gewagt werden. Der Ver-
such ist schwer. Denn heute soll von der Form des
Bildes die Bede sein.

Das gesprochene Wort ist freilich von anderem Stoff
als die Sprache des Malers. Es kann nie das Bild er-
setzen, es kann nur heranführen. Denn das Bild hat
seine eigene Sprache. Es hat: Farben und Formen —
Lichter und Schatten — Linien und Flächen; es hat
eine Bildfläche — schon die Bahmenrandung gehört
in hohem Maße zur Form — und es erzeugt auf ihr
im Scheine einen Bildraum. Auf die Verwendung
dieser Mittel kommt es an, auf sie kann das Wort
hinweisen. Mehr kann es niemals! Bildfläche und
Bildraum. Linien. Flächen, Lichter. Farben: mit die-
sen Mitteln schafft der Maler nicht anders als der
Tonkünstler mit Klängen und Rhythmen. Durch die
Ordnung seiner Mittel gibt er uns die Wege an, die
unser A.uge zu gehen hat. Wer diese Wege richtig
geht, dem beginnt das Bild zu klingen.

Es gibt ja auch Formen für das Auge, die keinerlei
Gegenstände unserer Umwelt abbilden und dennoch
,.klingen"", die Kunstwerke sind: Baukunst, Orna-
mentik. Bei Dürer treten in die eigentlichen Wege
der Gestaltung aber nun noch Abbilder ein, freie Ab-
bilder dessen, was wir täglich sehen können: Men-
schen, Tiere, Pflanzen, Bauten, Landschaft — der
Baum! Hier gerade liegt die größte Gefahr für das
Verstehen des Bildes. Denn obwohl wir vertraute
Formen der Wirklichkeit erkennen, so ist doch diese
Erkennbarkeit noch nicht der Sinn und nicht die
Form des Bildes. Das Bild ist eine vom Menschen
geschaffene Gestaltung, es ist keine Photographie.
Es will etwas ganz anderes! Gewiß hat sich gerade
Dürer sehr darum bemüht, Vs irklichkeit aufzufangen.
Aber dadurch entstand nicht so etwas wie eine natur-
farbige Photographie, sondern einKunstwerk entstand.
Das eigentlich Künstlerische ist das, was der Maler
mit dem Architekten oder dem Musiker gemeinsam

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