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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Bartning, Otto: Die Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0162

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liturgischen Notwendigkeiten folgerichtig ergeben-
den Form restlos deckt. Städtebauliche wie litur-
gische Bedingungen führten dazu, den Grundriß des
Kirchenraumes vomTurm aus fächerförmig ausstrah-
lend zu entfalten, so daß der Gesamtraum das Spie-
gelbild der um Kanzel und Altar versammelten Ge-
meinschaft der Gläubigen wiedergibt. Diese Über-
einstimmung geht aber noch weiter; sie besteht
auch im Architektonischen und Konstruktiven. Daß
sich die architektonische Spannung des Raumes mit
der liturgischen Spannung des Gottesdienstes deckt,
ist für Bartning die Grundforderung für jeden Kir-
chenbau. Daß sich Raumform und Konstruktion
entsprechen, ist ihm die Grundforderung alles
Bauens. Der Turm einerseits und der Emporenring
mit der Orgel anderseits sind die statisch festen
Bauteile. Vom festen Turm hinüber zum festen
Emporenring sind strahlenförmig sechs leichte
Joche geschlagen, die ohne Pfeiler die fünf Schiffe
des eigentlichen Kirchenraumes überbrücken. Wie
die einzelnen Joche hinüber und herüber reichen,
so stehen Predigt und Orgelspiel in Wechselwir-
kung. Die Abstufung dieser Joche zeigt sich nach
innen und außen durch die absteigenden Reihen
der Fenster. Absteigend von Joch zu Joch sind die
fächerförmigen Dächer gespannt. Sie bestehen aus
leichten eisernen Bindern mit eisernen Diagonalen,
im übrigen aus hölzernem Sparrenwerk mit mehr-
facher Schalung, Isolierung und Kupferdeckung.
Das Sparrenwerk des Zimmermanns ist zugleich
die sichtbare Decke des Kirchenraumes. Dieser über-
rascht den Eintretenden durch seine ungeahnte
Weite.

Die Flächen zwischen den Deckenbalken sind auf
eine hier erstmalig erprobte Weise durch Schalung
und Lattung aufgelockert. Es ist dadurch gelun-
gen, den Schall zu binden, ohne ihn, wie es bei
den bisher angewandten künstlichen Dämpfungs-
mitteln zuweilen geschieht, zu töten. Trotz der
großen Höhe des Raumes von 19m und obwohl
die Kanzel frei ohne Schalldeckel steht, ist das ge-
sprochene Wort ohne Nachhall.

Schönheit und Schmuck der Kirche sind bei der
Konstruktion ebensowenig wie bei den gesamten
verwendeten Baustoffen durch Zutaten gesucht
-worden, sondern bewußt lediglich durch gute hand-
werkliche Form und das natürliche Leben der Bau-
materialien. Die Gustav-Adolf-Kirche will unter
Beweis stellen, daß es sehr wohl möglich ist, einen
großen Reichtum an Form und Farbe zu entfalten,
ohne daß es dazu nur einer einzigen wesensfrem-
den schmückenden Zutat bedarf. Nichts ist bezeich-
nender für die Durchführung dieses Grundsatzes
als die Verwendung des raumbeherrschenden Fen-
sterkreuzes als Altarkreuz.

Die Harmonie des Raumes beruht im übrigen auf
folgenden Farbklängen; handbearbeiteter Muschel-
kalk aller tragenden Pfeiler und Joche; Mauer-
werk aller nicht tragenden Wandflächen aus hart-
gebrannten, gelblich und bräunlich geflammten
Klinkern (dabei sind verschiedene glatte und durch-
hrochene Steinformen zu einem besonderen Ver-

band verflochten, der sowohl optische wie akustische
Wirkungen hat) ; Wandflächen am Altar aus Vel-
dener Mattglasursteinen mit aufschimmernden
Goldmosaikfugen; Balkendecke aus ausgewähltem
Kiefernholz, nicht gehobelt und nicht gebeizt, son-
dern in von Monat zu Monat zunehmender tief
bräunlich-roterTönung, wie sie die natürliche Gerb-
säure dem Holz verleiht und in ihrer Natürlichkeit
keine Kunst des Malens oder Beizens erreichen
kann (unter dem gleichen Gesichtspunkt ist das
gesamte Holzwerk der Kirche ausgewählt und be-
handelt) ; Fußboden aus Buchen- und Eichenstä-
ben, der Raumform entsprechend in Feldern ge-
legt; Fensterrahmen und Fensterpfosten aus
Eichenholz, die Flächen unter dem Fenster aus
Ulmenholz, alles in seinen natürlichen Farben; das
Gestühl aus Birkenholz, in schweren Bohlen ver-
leimt und in der Rundung geschnitten; dazu kom-
men die Eichentöne der Türen, der Marmor des
Altars mit dem Tiefrot der handgeknüpften Tep-
piche und schließlich die handgeschmiedete Arbeit
der Kanzel und der Geländer. Den entscheidenden
Farbklang des Raumes aber geben die großen, in
Blei verglasten Fenster. Die lichtgebenden Seiten-
flächen, aus vielen warmen Farbtönen gemischt,
mit den Farbtönen der Mauern und des Holzwer-
kes verbunden, umschließen die Gemeinde. Die
hohen schmalen Fenster an der Altarseite dagegen
sind in blauen und grauen Tönen mit wenig Rot
gehalten. Bei jeder Tageszeit und jeder Witterung
aber ist der ganze Baum von einem warmen Licht
erfüllt, während bei künstlichem Licht die sonst
bekanntlich toten Glasflächen von den vergoldeten
Bleiadern lebendig durchwirkt sind.
Bei der eigenartigen Konstruktion der Kirche
dürfte auch eine Mitteilung über die Heizung in-
teressieren. Sie ist als Umluftheizung unter Frisch-
luftzusatz angelegt mit der Möglichkeit, im Som-
mer das Gebläse zur schnellen Durchlüftung um-
zukehren. Die Umwälzung der Luft ist dabei so
durchgeführt, daß die warme Luft an verschiede-
nen Stellen in der Mitte des Raumes austritt, sich
aufwärts entwickelt, an den Außenwänden und
insbesondere an den Fenstern abgekühlt herabfällt
und daher schon an den Fenstersohlbänken durch
ein Svstem von Kanälen abgesaugt wird, ehe sie
als Zugluft die Besucher der Kirche treffen kann.
Die Kirche hat 1050 feste Sitzplätze, ferner 100
Plätze für Chor und Orchester, also zusammen
1150 Plätze; dazu kommen reichliche Gänge, Vor-
räume, eine Sakristei und zwei Kapellen. Sie
wurde im September 1952 begonnen und im Sep-
tember 1954 eingeweiht. Die Baukosten betrugen
596 000 RM., und zwar einschließlich der gesam-
ten Ausstattung (auch der Altargeräte, der Krieger-
ehrung usw.). Sonderkosten erwuchsen nur für die
Orgel und die Glocken, die sich auf 55 000 RM.
beliefen. Diese Baukosten sind im Verhältnis zu
der Zahl der Sitzplätze und in Anbetracht der Ver-
wendung durchweg edler Baustoffe sehr niedrig;
der cbm umbauten Raumes stellt sich auf nur
51.70 RM. G.

Kunst f. Alle, Jahrg. 50, Heft G, Marz 1935

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