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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Kroll, Bruno: Hans Reinhold Lichtenberger
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0208

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Hans Reinhold Lichtenberger. Blick ins Nationaltheater

Ausdruck einer Lebens-, einer Weltanschauung ?
Ausdruck einer kultivierten Lebensfreude? Gewiß
diesseitig und sinnenfroh, doch — nicht maßlos, orgia-
stisch. sondern beherrscht, durchgeistigt, ja voll
innerer, geheimnisvoller Wunder. Lberdies — gab es
für einen Maler ein köstlicheres Problem, als diese
zauberhafte Vereinigung von Farbe, Licht und Be-
wegung zu packen? Wie viele schon in der Kunst
hatten darum gerungen! Altdorfer, Caravaggio, Bem-
brandt, Elsheimer und dann im 19. Jahrhundert:
Blechen und vor allem Menzel. Aber wem hatte
dies Problem eine geistige, eine innere Angelegenheit
bedeutet ? Rembrandt ? — gewiß! Elsheimer ? —
sicherlich auch, aber nur die L berlieferung spricht
davon. Bei Menzel war dies bestimmt nicht mehr
der Fall. Oder doch nur am Anfang. Bei ihm war
dieses künstliche Licht nicht mehr Träger eines
inneren, elementaren Erlebnisses. Die Brücke zur
Transzendenz, zum Un-, nein zum Jenseitswirk-
lichen — zur Vision . . . Und was galt schließlich
dagegen die oberflächliche Welt impressionistischen
Scheins ? Weckte sie Elementares ? Aber das Ballett

— das war Leben. Lnd mehr. Freibewegte und
dennoch geschlossene Rhvthmen der Linie und
der Farbe, des Bestimmten und dennoch Gleitenden,
des Faßbaren und doch nur durch huschende Be-
wegung Lebenden. Leben jener Welt des Atmo-
sphärischen, die traumhaft hinweghebt in andere
Regionen. Sinnliches und geistiges zugleich. Ausdruck
der sorgenfreien, nur dem Schönen und Herrlichen
hingegebenen Welt der Vorkriegszeit. Ausdruck
von höchster Kultur.

In der Nachkriegszeit entstehen Nachtbilder. Das
Ballett ist hinweggefegt. Das schreckliche militärische
Desastre, der Zusammenbruch in der Heimat, die
Trostlosigkeit einer fehlgeleiteten, politisch und kul-
turell sich zerfleischenden Nation lastet schwer auf
dem seelisch Empfindsamen. Schon als Zehnjähriger
hatte er ein Nachtbild gemalt. Immer schon hatte
das Geheimnis des Dunkels gelockt. Und nun hier
in München, wo die Majestät der Ludwigstraße dem
kosmischen Erlebnis des Atmosphärischen den kon-
struktiven Gegenpol lieh, dem Zerfheßenden das
Gefaßte, Begrenzte entgegensetzte, gleich groß, gleich

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