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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Born, Wolfgang: Der Bildhauer Fritz Wotruba, Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.16482#0239

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Staatliche Museen

neuen von Josef Hoffmann errichteten Österreichi-
schen Pavillons Aufstellung fanden.
Die bisherige Entwicklung Wotrubas führt von na-
turnaher Auffassung zu immer stilstrengeren Ge-
staltungen, oder wenn man es in ästhetischen Ka-
tegorien ausdrücken will, vom Organischen zum
Kristallinischen. Der ..Junge Riese1', die Bleifigur
von 1928. ist noch verhältnismäßig impressioni-
stisch modelliert: die Oberfläche ist rauh und unge-
glättet. Auch in der Art, wie die Bewegung fixiert
ist, spürt man noch etwas von dem auf die Erfas-
sung des Alomentanen gerichteten Kunstwollen der
von Rodin bestimmten Epoche. Aber diesen Auf-
lösungstendenzen wirkt bereits die Tendenz zur
Vereinfachung entgegen. Der Kopf vor allem verrät
in seiner geschlossenen Rundform die neue Rich-
tung. — Der ..Männliche Torso" aus Kalkstein, der
im nächsten Jahr entstanden ist, geht schon viel
weiter in der Unterdrückung aller Einzelheiten.
Der Körper wird blockhaft zusammengefaßt, die
'\ ielfalt der Oberflächenerscheinung zu einfachen
Rundformen ausgeglichen. Annähernd aus der glei-
chen Zeit stammt der ,.Kalksteintorso eines stehen-
den Mädchens", der die gleichen Formprinzipien
verkörpert, aber in einer lyrisch beseelten Auffas-
sung, die bei Wotruba nicht häufig ist. Im Jahre
1929 schuf der Künstler noch den ..Mann mit hän-
genden Armen", einen Messingguß, der die Über-
tragung jener neuen, zuerst am Stein gewonnenen
Stilvereinfachung auf Metall zeigt. 1950 wurde die
Sandsteinfigur ,.Der große Hockende" ausgeführt,
die an Geschlossenheit der räumlichen Wirkung
über alle vorher entstandenen Schöpfungen Wotru-
bas hinausgeht. Der Jünglingskopf aus rotem Mar-
mor von 1951 scheint ganz und gar archaisch:
Augen, Mund und Ohren sind wie eingeschnitten
in die spröde, eiförmige Masse des Steines. Mit dem
..Großen stehenden Mann'" von 1955 endlich ist
die „kristallinische" Form gefunden. Die Extremi-
täten sind fast säulenhaft erstarrt, die Stereometrie
triumphiert über das organische Leben. Trotzdem
aber wirkt das Ganze nicht leblos: es ist von einer
geistigen Vitalität erfüllt, die noch im Abstrakten
unterirdisch wirksam ist. Am deutlichsten spürt
man dieses heimliche Leben in der liegenden weib-
lichen Monumentalfigur aus gelbbraunem Salzbur-
ger Marmor, trotz ihrer bis fast zur Cezannischen
Urform des ,,Kubus. Kegels und Zylinders" redu-
zierten Formensprache.

Sämtliche Steinfiguren Fritz Wotrubas sind unmit-
telbar aus dem Block gehauen, ohne Tonmodell.
Zeichnerische Entwürfe genügen ihm. Der Charak-
ter seiner Werke ist herb. Ihre Wirkung ist gewalt-
sam. Allen ist ein tragischer Zug zu eigen. Man
spürt die Auflehnung, den Trotz, die Einsamkeit
eines Menschen unserer Tage. Wenn Fritz Wotruba
immer wieder auf das Problem des Torsos zurück-
kommt, so geschieht das aus innerem Zwang. Er
meidet das Ausgeglichene, Allzufertige. Sein Le-
bensgesetz ist das Gesetz der Woge, die nie zu greif-
barer Form erstarrt. Jede seiner Schöpfungen weist
über sich selbst hinaus auf eine künftige.

Fritz Wotruba. Bleifigur auf Säule. Wien

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