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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 56.1940-1941

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Scholz, Wilhelm von: Manzels "Théâtre Gymnase"
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https://doi.org/10.11588/diglit.16489#0523

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Dichter über Bildwerke, die sie lieben:
Menzels „Theatre Gymnase". Von Wilhelm von Scholz

Der naive Beschauer wird ein Bild immer zuerst stoff-
lich ansehen. Ich bekenne mich dazu, nie aufgehört zu
haben, ein naiver Beschauer zu sein, wenn ich auch
andere höhere Weisen der Betrachtung im Laufe mei-
nes Lebens dazugewonnen habe.

Aber vielleicht ist der Satz, den ich hier über die naive
stoffliche Betrachtung eines Bildes aufstelle, doch nur
mit einer kleinen Einschränkung richtig. Nämlich:
der naive Beschauer, der künstlerisch veranlagt ist,
also eine tiefere, ihm angeborene Beziehung zur
Kunst hat, wird erst dann ein Bild stofflich ansehen,
wenn er noch vorher jener geheimnisvollen inneren
Berührung von dem Bilde teilhaft geworden ist, die
lediglich von Kunstwerken ausgeht. Sie ist nicht wei-
ter erklärbar und läßt sich etwa bezeichnen als: Be-
rührung durch Schöpfertum, durch inneres Leben,
durch unsichtbares Dasein — womit, was ich gern zu-
gebe, nicht viel gewonnen ist. Jedenfalls ist sie noch
keineswegs eine Zergliederung und Vergleichung
nach Normen und Gesetzen, wie sie der Kunstforscher
anstellt.

Daß ein Berichtsphoto, eine aktuelle Zeichnung auch
ohne jedes künstlerische Ergreifen des Beschauers
stofflich betrachtet wird, widerspricht dem nicht.
Diese Dinge haben einen ergänzenden Charakter zur
Zeitung, zu dem, wovon alle Welt spricht. Sie mag
auch der künstlerische Betrachter ohne jede innere
Berührung auf das hin ansehen, was sie berichten.
Aber in einem unkünstlerischen mißlungenen Werk
wird ihn auch das Stoffliche ganz gleichgültig lassen;
ihm wird durchaus unwichtig sein, was der Maler mit
dem schlechten Bilde hat darstellen, erzählen, schil-
dern wollen.

Das erste, wenn auch kurze, Betrachten und Urteilen
des naiven künstlerischen Beschauers ist also doch ein
ästhetisches, auf Grund dessen dann das stoffliche Be-
trachten zustande kommt — das nun berechtigt ist
und unumgänglich, wenn man zum Wesen eines Bild-
werkes vordringen will.

Adolf Menzels „Theatre Gymnase in Paris", im Be-
sitz der Nationalgalerie in Berlin, zieht den Beschauer
sofort mit einer allgemeinen künstlerischen Wirkung
—■ vortrefflicher Farbgebung, erfüllter Stimmvtng,
aufwandloser Echtheit, selbstverständlicher, unab-
sichtlicher Schönheit — an sich heran und lockt ihn,
nun zu sehen, was hier dargestellt und gegeben ist:
die Welt zu erfassen, die hier Bild und zweite Wirk-
lichkeit wurde. Das Theater. Die Bühne. Neben dem
heroischen Pathos von Daumiers „Drama", das Bür-
gerliche, das Unübersteigerte, den guten Dialog und
die Natürlichkeit verkörpernd — Mahnbilder beide
für den Dramatikerl

Wenn ich das gewaltige mitreißende Leidenschafts-
geschehen des Daumier-Bildes ansehe, muß ich an
Chamf orts Wort denken: „Es ist der Fehler der tragi-
schen Kunst, daß sie Leben und Tod zu große Bedeu-
tung beilegt." Vor Menzels ganz unpathetischem Ge-
mälde, das eine Szene gesellschaftlichen Charakters in

damaliger Zeitmode festhält, könnte man vielleicht
an das Wort des Theseus aus dem „Sommernachts-
traum" denken: „Das Beste in dieser Art ist nur
Schattenspiel, und das Schlechteste ist nichts schlech-
teres, wenn die Einbildungskraft nachhilft." Doch
auch dies Wort ist zu poetisch, von Traum und Phan-
tasie beschwingt. Nein, nicht Schattenspiel: unsere
Wirklichkeit, nicht Uberbewertung und nicht Schat-
tenspiel! Geschehen von genau dem gleichen Gewicht
wie unser alltägliches Leben.

Aber mit welchem Zauber und Reiz beschenkt! Bei
schärfster Beobachtung, wie sie dem Auge des geüb-
ten Zeichners eignet (der Stuck an der Loge, der ge-
raffte Vorhang mit seinem unteren goldenen Rand-
muster, die Operngläser, der blumige Bezug des Stuhls,
die Hände der Sprechenden auf der Bühne) ist alles
weich, tonig, warm, raumvoll, lufterfüllt gegeben,
alles erst durch die Farbe zum Leben gebracht.
Ein roter Mittelpfeiler (Proszenium mit zwei besetz-
ten, sich in Dunkel vertiefenden Logen) beherrscht
das Bild farbig und in der Komposition. Das leben-
dige, gesellige, erregende, zur Leidenschaft wie zur
Feierlichkeit hinleitende Rot ist die gegebene Farbe
des Theaters. Ein heller, dann in Schatten übergehen-
der, zwischen gelb, rosa, orange schwimmender Ton,
die Orchesterlogenwand, steht dem Mittelbalken des
Bildes zur Rechten. Von hier führt ein schmaler
leuchtender Strich (hinter den Lampen der Rampe)
verbindend bis ganz nach links, wo das Schwerge-
wicht der Darstellung die Füllung des linken Bild-
drittels bildet: ein Herr zwischen zwei Damen. Von
ihnen hat die am äußersten Bildrand stehende, leb-
haft sprechende und gestikulierende Frau auf ihrem
tiefblauen seidenglänzenden Reifrock und ihrer wei-
ßen Mantille inhaltlich, malerisch und vom Licht die
entscheidende Stellung.

Das dunkle, nach rechts zu sich aufwärts verbrei-
ternde Band (Orchester- und Zuschauerraum), das
den dreigegliederten oberen Hauptteil des Bildes
trägt, wirkt zunächst nur als einheitliche Schatten-
masse — für das Auge: wie wenn man aus der Helle
draußen in halbdunklen Innenraum tritt — und füllt
sich dem den Schatten durchspähenden Blick bald mit
geheimnisvollem Leben: der Alusiker und Instru-
mente, ihrer Lampen und Noten, der leidenschaft-
lichen, gespannten, lebhaftesten Anteil nehmenden
Zuschauer. Das unsichtbar mitwirkende und das füh-
lende erregte Dunkel vor der Helle der Schauspiel-
handlung!

Die Zuschauer hier haben nicht die kaum zu bändi-
gende wilde Erregung des Publikums bei Daumier.
wo es offenbar eben den todbringenden Zweikampf
zweier Nebenbuhler um eine Frau erlebt hat. Der
Mann zwischen zwei Frauen ist ein weniger blutiges
Thema und hier zeitnahe, mehr innerlich als äußer-
lich leidenschaftlich, auch im Kopf nicht nur in Herz.
Brust, Leib sich abspielend, voller bändigender, er-
sichtlich trotz aller Lebhaftigkeit klug ausgesproche-

Kunst für Alle, Jahrg. 56, Heft 12, September 1941

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