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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Corinth, Lovis: Der Akt in der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0116

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Ausser Piglhein und Liebermann, die Ende der
siebziger Jahre die ersten Triumphe, — jener eben-
falls mit einem Gekreuzigten, dieser mit einem
jungen Christus im Tempel — feierten, ist noch
der Düsseldorfer Gebhardt als ein Zeichner grossen
Stils anzuführen. Vor diesem: Anselm Feuerbach,
Böcklin, von dem später die Rede sein wird und
Hans Makart.

Aber so gross dieser zu seinen Lebzeiten da-
stand als Schilderer nackter Frauenleiber; so gross,
dass förmliche Legenden von modellstehenden
Prinzessinnen ihm angedichtet wurden; ist sein
Ruhm für die Nachwelt verschwindend klein ge-
worden.

Wenig Lebensfähigkeit herrscht in den Ge-
stalten, die er in süsslicher Farbenharmonie und
schlenkriger gedrechselter Zeichnung auf die Lein-
wand brachte.

Von Makart zu Cornelius und den Nazarenern
ist nur ein Schritt. Freilich war Cornelius ein
gottbegnadeter Mensch, aber Alles, was nackt ist,
ist bei dieser Generation zu Formeln erstarrt. Wenn
der Künstler im Sinne von Andern schafft und der
Natur gegenüber eine undurchsichtige Binde trägt,
wird immer das Aeusserliche vorherrschen und kein
Leben erblühen.

Raffael möchte ich im guten Sinne dengrössten
Streber aller Kunstepochen nennen.

Michel Angelo sagte von ihm (Lebensbeschrei-
bung Michel Angelos von Condivi): „Raffael habe
seine Kunst nicht von Natur, sondern durch langes
Studium besessen."

Das ganze Erdenwallen des Urbinaten war
darauf gerichtet, individuelle Eigentümlichkeiten
seiner Vorgänger und Zeitgenossen, von Masaccio
und Lionardo angefangen bis zu Perugino und
Michel Angelo, zu verflachen und seinem Geschmack,
der sich glücklich mit dem seines raffinierten geist-
lich-aristokratischen Publikums deckte, anzupassen.
Ist doch auch der Charakter des Papstes Julius II,
des Brotgebers des Michel Angelo, ein wesentlich
andrer wie der Leos X, des Mäcens von Raffael.

Jener ein knorriger hartköpfiger Kämpe für
das Papsttum gegen Gott und die Welt; dieser ein
wohlbeleibter skrophulöser Elegant, dessen Wahl-
spruch hätte heissen können: leben und leben lassen.

Zur Zeit der Hochrenaissance fanden die ersten
Ausgrabungen auf dem klassischen Boden Roms
statt. Unter anderen wurden der Apoll von Bel-
vedere und die Laokoongruppe an das Tageslicht
befördert. Diese Werke, welche wir heute als

römische Kopien erkannt haben, wurden von Jenen
als griechische Originale verehrt, bewundert und
als nachstrebenswert betrachtet.

So half Alles zusammen:

der übermächtige Einfluss Raffaels,

diese unglücklicherweise schlechten antiken
Funde,

der raffiniert ausgebildete Geschmack des da-
maligen Publikums, eine Malerei grosszuziehen, der
alle Naivetät und einfache Grösse mangelte; die
freilich auch durch ihre Blutleere jeden sinnlichen
Gedanken fern hielt.

Zu dem verknöchertsten System brachte es die
bolognesische Schule unter den Caracas. Die
Zeichnung von Michel Angelo, die Farbe von Titian,
das Helldunkel von Correggio und weiss Gott was
sie sonst noch für Rezepte an die schwarze Tafel
ihrer Akademie geschrieben hatten, um die Möglich-
keit zu zeigen, wie ein gutes Bild zu fabrizieren
wäre.

Die Kunstanschauunghatte eine derartige Lebens-
kraft, dass sie für dekorative und grossangelegte Ge-
mälde massgebend blieb durch die folgenden Jahr-
hunderte hindurch bis — in unsre Zeit hinein.

Winkelmann und Lessing waren unbewusst die
Begründer eines eignen Studienfaches unter dieser
Richtschnur und so ist ein Mann, der jedes Kunst-
gefühls entblösst, aber zu seinen Lebzeiten der
Grössten Einer war, für immer als Beispiel dieser
schematischen Nachtreter an den Pranger der Kunst-
geschichte gestellt; das ist Raphael Mengs.

Bis auf den heutigen Tag hat sich der Glaube
erhalten, dass ein Akt — sei es ein männlicher oder
weiblicher — nur auf diese eine bestimmte Weise
im Bilde als „schön" zu bezeichnen sei.

Ferner kommt hinzu, dass der nackte Mensch
als Modell zur Erziehung werdender bildender
Künstler das beste Mittel ist. Landschaftsmaler und
novellistische Dorfmaler haben in ihrer Studien-
zeit Akte gezeichnet und gemalt.

So hat es dahin kommen können, dass das
Meisterstück der Schöpfung zu einem hohlen Schema
herabgezogen ist oder aus Studienzwecken als das
Latein der Malerei mit einigem Recht bezeichnet
werden kann.

Seitdem aber das Kunstbedürfnis in die Seelen
der Menschheit Eingang gefunden, ist doch haupt-
sächlich der Mensch, wie ihn Gott aus seiner bil-
denden Hand auf die Erde gestellt hat, immer als
das Edelste und Schönste verherrlicht worden.

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