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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Corinth, Lovis: Der Akt in der bildenden Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0118

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gemahnt — wir brauchen nur das Guasche: „Hand
mit Tuschschale" zu sehen — Grossartiges geleistet
haben würde.

Zu den jüngsten Aktschilderern unsrer Zeit ge-
hören : Stuck mit seiner Bronze; Athlet eine schwere
Kugel hebend-— ferner Slevogt mit dem verlornen
Sohn, ein Bild, das in der ersten berliner Secessions-
Ausstellung mit Recht gefeiert wurde, und von Hof-
mann, der den Charme der Jugend und das para-
disischeDahindämmern wie kein Andrer gelöst hat.

Die zwei Antipoden Trübner und Klinger.

Der Erstere ist das malerische Talent: er schil-
dert in breiten Farbenflecken das Spiel des Lichtes,
die durch Reflexe aufgelösten Formen.

Klinger ist der Mann der Zeichnung.

In Radierungen hat er Bewundernswürdiges
geleistet, an technischer Vollendung kann er dem
FelicienRops ebenbürtig an die Seite gestellt werden.
In Malerei und Skulptur zerstört er die grosse Wir-
kung durch zu minutiöse Behandlung; über all die
kleinen Formen und Flächen verliert er den Blick
für das Ganze. Deshalb sind die weniger umfang-
reichen Arbeiten die besser geratenen. Einzelne Stücke
wie die Torsen an dem Rahmen für Christus im
Olymp, eine Badende und vor allen Dingen ein
Hochrelief Leda mit dem Schwan sind sehr be-
trachtenswert. Die Färbung des Marmors und Ein-
setzung bunter Steine oder Metalle ist eine Kaprize
von ihm, die im besten Falle als handwerkliche
Finesse mitsprechen kann.

In der vorletzten Ausstellung der berliner Se-
cession fand sich das Publikum einem Bilde gegen-
über, das es seltsam anmutete.

Es war Samson und Delila von Max Lieber-
mann.

Delila hat sich der Umarmung Samsons vor-
sichtig entzogen und reckt sich um den schlummern-
den Riesen nicht zu wecken in einer, vom Künstler
meisterhaft wiedergegebenen, gewaltsamen Mo-
mentanstellung hoch empor, in der erhobenen Rech-
ten den abgeschnittenen Haarschopf; Samsons Haupt
liegt noch im Schosse der Verräterin. Der Aus-
druck der zwiefachen Art von Leidenschaft im Ge-
sicht des Weibes, der befriedigten Wollust und der
grausamen Lust am Verrat, ist sprechend wieder-
gegeben. Der weitgeöflhete Mund ist noch von
den brennenden Küssen der Nacht angeschwollen

und gerötet, während die halberloschenen Augen
den Philistern die vollbrachte That verkünden. Der
ganze Körper erzittert von genossener Lust, aber
die gefügigen kaum von umstrickender Umarmung
gelösten Hände haben schon das Rachewerk voll-
bracht.

Der Beschauer stand ratlos davor; einig war
ein Jeder darüber, dass dieser männermordende
Dämon nach seinen kunstästhetischen Begriffen
nicht die Schönheit besass, welche man nach Ueber-
lieferung seit Raffaels Zeiten gewöhnt war und so
wurde die landläufige Schablone an eine Schöpfung
gelegt, die lange und vorsichtig geplant und im-
pulsiv ausgeführt war.

Schon seit Jahren hatte Liebermann die ver-
schiedensten Skizzen zu diesem Bilde entworfen.
Immer wieder zwischen der Arbeit an Gemälden,
die ihn längst zu einem unsrer Besten gemacht
hatten, nahm er dieses Motiv von Neuem vor;
änderte, verwarf, bis er endlich in sich Klarheit
über das Werk hatte und an die Ausführung ging.

Einstmals stand ein berliner Maler vor seinem
eigenen Bilde, das im Glaspalast in München von
der gestrengen Jury schlecht plaziert war und sah
es lange mit finsterer Miene an. Dann hellte sich
sein Antlitz auf und zufrieden sagte er zu seinem
Begleiter: „Lassen die Leute sagen, wat sie wollen,
det Bild is jut". Dasselbe möchten wir dem Publi-
kum über dieses Werk Liebermanns zurufen.

Fremdartig ist es den Zeitgenossen, aber kraft
seines inneren Wertes ein bleibendes Kunstwerk.

Das wahre Wesen der Kunst ist immer das-
selbe im Wechsel der Zeiten: Vom ersten Erden-
klos, aus dem ein Mensch in unbewusstem Kunst-
drang ein Bild nach sich selbst formte und ihm
den lebendigen Odem hineinblies bis zu den Werken
unsrer Epoche, der Zeit der Elektrizität und des
lenkbaren Luftballons.

Auch die Art wie die Kunst zum Ausdruck
gebracht wird: ob in simplem Kohlenstrich oder
in Malerei, die braun und tief oder hell und klar,
bis auf die zerteilten Farbenflecke und das Punktein
des modernsten Neo-Impressionismus; das Alles ist
Handwerk, das nur zur Aussprache hilft.

Rein losgelöst ist es aber der göttliche Geist,
der in den Kunstwerken seine ewige Macht offen-
bart.
 
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