Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

DOI Artikel:
Kessler, Harry: Der deutsche Künstlerbund
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0201

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ebenso wie alle frühere Kunst durchzogen haben,
organisch und lebendig werden und durch die
grossen Meister, die das 19. Jahrhundert zahlreicher
gehabt hat als irgend ein früheres ausser dem 15.
und 17., fesseln und erheben, statt zu langweilen
und ermüden.

Vor allem aber würde sie das Bild der gegen-
wärtigen gährenden, jeden Tag neu nachwachsen-
den Entwicklung so festhalten, wie noch nie vier
Wände ein Stück Leben festgehalten haben. Die
jungen fruchtbaren Talente, die es in Deutschland,
Frankreich und auch in England giebt, können in
ihren besten Werken billig gekauft werden. Hier
vereinigt und aneinandergereiht würden sie mit den
älteren zusammen die Brücke sein von unserer
fieberhaften, weit verzweigten Entwicklung zur Tra-
dition des 19. und der der früheren Jahrhunderte.

Ein solches Museum wäre für eine noch jüngere,
lernende Künstlergeneration von kaum zu über-
schätzendem Wert.

Denn die wertvolle, die eigenartige Künstler-
natur bedarf der Tradition. Sie bedarf ihrer, um
sich und ihre Eigenart auszudrücken. Je mehr und
je klarere Zeichen und Hieroglyphen sie zum Ge-
brauch vorfindet, umso voller, kühner, widerstands-
loser kann sie sich offenbaren.

Und zwar bedarf sie der ganzen, unverfälschten
Tradition. Sie kann sich nicht wie das unpersön-
liche Malbedürfnis des Durchschnittstalents mit
akademischen Rezepten zufrieden geben. Sie muss
"ie Künstler in ihren Werken selbst ausfragen.
Gerade die Feinheit und Einzigkeit ihrer Ausdrucks-
bedürfnisse macht ihr das unnütz, was irgend ein
Andrer im Groben für Durchschnittsschüler von
den Werken grosser Künstler abgezogen hat.

Deshalb haben alle grossen Neuerer ältere
Künstler mit Leidenschaft studiert, von Lionardo
und Velazquez bis auf Runge, Constable, Delacroix
und Manet. Es giebt nichts Durchdringenderes
als die Kunstnotizen von Delacroix und Constable
oder die Kopien von Degas nach Poussin. Cezanne,
wohl der entschiedenste Neuerer, den Frankreich
*m 19- Jahrhundert gehabt hat, lässt in Paris
«einen Tag vergehen, ohne im Louvre ein oder zwei
unden nacn signorelli oder Delacroix zu kopieren.
Daher würde ein solches Museum, das die Ver-
bindung zwischen der modernen Kunst und der
alten klar verfolgen Hesse, einem Bedürfnis der
jungen Ausnahmetalente entgegenkommen. Es

wäre der richtige Mittelpunkt für eine Ausbildung
wie gerade sie sie brauchen. Namentlich, wenn
mit Kursen, die an die technischen Eigenheiten der
alten Kunst heranführten, Vorlesungen verbunden
würden, die die Wissenschaften der Farben- und
Formenlehre nach Helmholz, Rood, Hildebrand
zugänglich machten.

So schliesst sich an den Museumsplan organisch
die Möglichkeit einer neuen Art von Lehrwerk-
stätten an, einer deutschen, den modernen Ver-
hältnissen angepassten Ecole de Rome.

Der Grundsatz, dem der Künstlerbund ent-
stammt: die Eigenart in der Kunst zu schützen und
zu fördern, und zwar mit Macht, aber keinen
andern Einfluss auf die Kunst zu suchen oder dulden,
dieser Grundsatz entspricht eben dem Wesen der
Kunst. Er ist lebendig und erzeugt deshalb immer
neue Erscheinungen.

So wird denn dieses Prinzip auch im Staats-
leben zur Geltung gebracht werden müssen.

Denn der moderne Staat bef asst sich mit Kunst. Er
hat Galerien, macht Ausstellungen, giebt'Aufträge,
baut, belohnt. Und es handelt sich hier nicht, wie
Politiker nur zu leicht meinen, um „kleine" Fragen,
die den Gang der „grossen" Politik nicht stören
sollten. Sondern hier sind in Wirklichkeit die
Dinge, um derentwillen alle Politik überhaupt da
ist. Im letzten Grund erfüllt Politik nämlich immer
nur in*verschiedenen Formen Eine Aufgabe: einem
Volke, d. h. den idealen, intellektuellen oder künst-
lerischen Gaben eines Volkes, die höchste, mannig-
faltigste und weiteste Entfaltung bahnen und
sichern. Dazu sind Parlamente, Panzerschiffe,
Handelskammern da. Selbst die „hohe" Politik
ist nur Mittel zu diesem Zweck. Die Denker,
Dichter, Künstler stehen im Mittelpunkt und alle
Andren um so zentraler, je näher ihr Wirken diese
lebendigen. Geister berührt, die das Ewige ihres
Volkes sind.

Deshalb trägtjeder dieschwersteVerantwortung,
wo er in Dingen des Geistes mit beschliesst. Und
da der Staat die Kunst in seinen Bereich zieht, so
muss man verlangen, dass die Kunst auch in der
Politik nach ihrer richtigen Bedeutung geschätzt
und nach dem richtigen Prinzip, dem der Freiheit,
behandelt werde.

Utopisch wie das heute scheinen mag, so glaube
ich doch, dass wenn der Wert und die Grund-
bedingungen einer reichen Kunstentfaltung klar

•?5
 
Annotationen