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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Ausstellung in Berlin bedachtsam zu sein und nur das
Gehaltvollste zu wählen. Wir sehen zu viel „Niveau"
in ihrer jetzigen Ausstellung.

Unter manchem „Gesauzten", wie der nicht schöne
aber charakteristische Ausdruck lautet, fällt eine feine
Arbeit Otto Greiners auf. Man erlebt hier nicht
den betrübenden Fehler Greiners, der ihm begegnet,
so oft er sich in ideale Gebiete begeben will: dass er
seine Modelle auszieht, sie hiermit ihres Charakters ent-
kleidet zu haben wähnt und uns als Göttin des Tanzes,
als Pallas Athene, als den Odysseus bethörende Sirene
vorführt, was eine Viertelstunde vorher Agnes Müller
oder Katharine Schultze hiess und Katharine Schultze
und Agnes Müller natürlich geblieben ist. Bei dem
Bilde im Künstlerhause hat Otto Greiner seine beiden
Modelle in ihren hausbackenen schwarzen Kleidern
gelassen und er ist auf diese Weise einfach geblieben
und der malerische Sinn in ihm ist stärker zur Entfaltung
gelangt. Der Ton seines Bildes ist fein und kultiviert;
die Zeichnung ist vorzüglich. Der Mangel an Manieriert-
heit entschädigt für eine auch in dieser Arbeit hervor-
tretende Nüchternheit.

Münchener Künstler, die nur Arbeiten im „Niveau"
gesandt haben, sind Angelo Jank, Friedrich Attenhuber,
Ludwig Herterich, Christian Landenberger. Schramm-
Zittau ist in einer Hühnerfütterung süsslich. Von Exter
sieht man neben einer Nymphe, die etwas unter Niveau
ist, eine kleine Cellospielerin, welche das Rätsel aufgiebt,
wie einer ein talentvoller Künstler sein und doch eine
solche Arbeit ausstellen konnte. Von Hubert v. Heyden
sieht man ein gutes Tierstück. Unerfreulich ist Alois
Hänischs Landschaft „nach dem Regen". Die Schule der
„boys of Glasgow" müsste gegen diesen Künstler klag-
bar werden, weil er denen, die an sie noch glaubten, den
letzten Rest ihrer Anhänglichkeit nimmt. Sympathisch
sind einige der Landschaften von Richard Pietzsch. Tooby
sandte ein kühles und gutes Landschaftsbild „Herbsttag''.
Sambergers Zeichnungen haben zuweilen etwas die
Charakteristik glänzend Packendes; so sein Porträt
v. Heydens, in dem der Junkerkopf vorzüglich heraus-
gekommen ist. Sobald er in Öl malt, geht der Sinn für
die Realität völlig unter und seine Gestalten werden zu
Schemen.

Vor zwei von A. v. Keller ausgestellten Bildern ist
es schwer, eine peinliche Empfindung niederzukämpfen.
Der Maler, der in seiner besten Zeit Jairi Töchterlein
gemalt, an dessen früheren weiblichen Porträts man
noch Gefallen gefunden hatte, an dessen badenden
Römerinnen man immer noch bei dem freilich gequälten
Kolorit den Maler von Rasse erkennen konnte, ist hier
in das banalste Schlechte versunken. Unter keinen Um-
ständen hätten diese Bilder ausgestellt werden dürfen.
Ein drittes Bild v. Kellers, eine kleine Aktscene, ist
besser.

Von Habermann sieht man ein grosses „Familien-
bild". Den Gutsherrn hört man altbayrisch reden; im

Gesicht der Hausfrau ist Leben und Lachen; das Ganze
ist ein malerischer Witz. Nicht mehr. Doch freut man
sich an dieser eines Barockmalers würdigen Geschicklich-
keit in der Lebendigmachung von wenigstens drei der
Figuren (der Mann, die Frau und das älteste der Kinder).
Schade ist, dass Habermann daneben einen seiner weib-
lichen Akte ausstellt, die als art pour Part gemacht sind
und in ihrer Ungegenständlichkeit nur geringe Pro-
dukte sind. Das „Familienbild" ist das zweitbeste Bild
der Ausstellung.

Das beste ist Uhdes „Atelierpause".
Auch dieses Bild hat etwas von einem Barockmaler.
Dessen cynische Gelassenheit gegenüber dem Motiv prägt
sich in ihm aus. Dargestellt ist, wie ein weibliches Modell
mit einem Kinde, das zu einer Madonna Modell steht,
in der Pause an das Bild tritt. Das Modell, das für den
heiligen Joseph dient, steht ohne Pose ruhig daneben.
Ebenso sieht man die kleinen Kinder, die in ihrer Liebens-
würdigkeit als Engel dienen sollen, mit ihren ange-
bundenen Flügeln, sich ausruhend, und dahinter die mit
Gemälden bedeckte Wand des Ateliers. Natürlich liegt
alles Verdienst bei diesem Bilde darin, wie es ausgeführt
ist. Es ist diskret, das ist sein hohes Verdienst. Schein-
bar ist es „genrehaft", thatsächlich zeigt es eine Ver-
menschlichung in des Meisters Kunst. Seine Natur-
studien verschmolzen sich zu einem Kunstwerk, an dessen
Ungezwungenheit und Reife in jedem Betracht man
Anteil nimmt. Nur scheinbar ist hier nicht ein so tiefes
Gefühl wie in den religiösen Bildern des Malers; that-
sächlich sagt aus ihm der Maler: in meiner Jugend haben
mich Bilder der Heiligen ergriffen, doch längst habe ich
wieder einsehen gelernt, dass jeder Sonnenstrahl malerisch
ist und jeder Pflasterstein seine Schönheit in sich trägt.
Indem ich das Modell so liebevoll wiederzugeben trachte
als wäre sie die Madonna selbst, kann ich keine Grenze
mehr für meine künstlerische Bethätigung sehn. Das
gleiche Gefühl der Inbrunst ströme ich aus, wenn ich
den Mann, der mir als heiliger Joseph dienen soll, in der
Pause male oder wenn ich ihn zu seiner Figur im Bilde
verwende; mindestens das gleiche Gefühl ströme ich
dann aus. Alles Menschliche ist malerisch, ist gleich-
malerisch; so scheint aus diesem Bilde heraus der älter-
gewordene Meister zu reden. Sein Bild ist nicht sehr voll
im Ton, es ist vielleicht etwas müde - aber doch sehr
schön. Es zeugt von der schönsten Herrschaft des
Meisters über seinen Besitz, es ist voll von Geschmack
in seinen Einzelheiten. Zweifellos ist es das bei weitem
hervorragendste Bild der ganzen Ausstellung und es
würde diese zu einem Ereignis ersten Ranges machen -
wenn es nicht schon einmal in Berlin gezeigt worden wäre.
Die plastische Abteilung der Ausstellung weist nicht
weniger als neununddreissig Schöpfungen auf. Die-
jenige, die man mit dem grössten Vergnügen sieht, ist
— obwohl selbst Hildebrand vertreten ist — ein kleines
Porträt-Relief von Hermann Lang; eine entzückende
Arbeit. H.

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