Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

DOI Artikel:
Chronik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0208

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AUS DEM KÜNSTGEWERBEMUSEUM.

Im Kunstgewerbemuseum sah man eine anregende
Revue alter Teppiche und Stoffe.

Die Fabelreize kostbarer persischer Knüpfarbeiten
spielen hier. Die Spaziergänge, die Bodes feine und
kennervolle Monographie (in den Monographien des
Kunstgewerbes) in jene verwunschenen farbenglänzen-
den Wunderwelten Asiens unternahm, erhalten lebendige
Illustration und manches kam ans Licht, was leider sonst
verpackt und zusammengerollt in unfruchtbarer Schön-
heit den Blicken entzogen ist.

Eine Probe jener von Bode so hochgerühmten
Gattung der Tierteppiche sieht man. Diese Teppiche,
deren seltene sich in Elitebesitz befinden, sind persische
Arbeiten, die zur Blütezeit der Safidendynastie unter
chinesischen Einflüssen entstanden. Die ganze Welt der
chinesischen Legende, alle ihre Fabeltiere, der Phönix, das
Einhorn,derDrache und ihre Ornamente, dasWolkenband-
motiv vor allem erscheinen. Derbeste dieser Gruppe ist
der Jagdteppich des österreichischen Kaiserhauses. Die
Schilderung einer persischen Jagd giebt er. Auf lachs-
farbenem blumendurchranktem Grund tummeln sich
Reiter zwischen Löwen, Antilopen, Wildschweinen,
Hasen, Füchsen, Hirschen. Die Pflanzen, die Schilderung
derMenschen undTiere gleicht genau dem gleichzeitigen
Dekor auf Metall und Lederarbeiten. In diesen Mo-
tiven kommt aber dann die chinesische Note: zwei
Drachen und der Phönix, und das ist das Wappen der
Mingdynastie, die von 1368 an drei Jahrhunderte fast
China beherrschte. Eine Sammlung aller dieser chine-
sisch-persischen Leitmotive bietet der grosse wollene
Tierteppich, der aus einer Genueser Synagoge in den
Besitz des Kaiser-Friedrich-Museums kam. Auf ihm,
der einen Wald darstellt, geben sich die chinesischen
Fabelgeschöpfe ein Stelldichein mit den Tieren Vorder-
asiens, ein Garten Eden voll jeglicher Kreatur.

Auf dem Teppich dieserAusstellungfinden sich gleich-
falls Einhorne und Leoparden vermischt mit Haustieren,
gerahmt von grosszügig geordneter Rankenarchitektur.

Reifste, feingeknüpfte Technik bester Periode
zeigt dieses Stück. Es hat in seinen blauroten Misch-
ungen auf Creme-Grund jenen mattschimmerndenleuch-
tenden Flor, der die Feinschmeckerei der Amateure
ist. Erlesenen Geschmackswert stellt er dar.

Die andere Seite des Sammeins, auf der die Histo-
rischen, die Kulturell-Forschenden stehen, ist durch jenes
in seiner derben Knüpfung und seinen harten Tönen
fast barbarisch wirkende Stück vertreten, das in gelb,
blau und rot das Mingwappen zeigt, der Drachen mit
dem Phönix, „in sehr karikierter Zeichnung" (wie Bode
sagt).

Ein mittelalterliches Stück ist das von grösster
Seltenheit. In Rom ward es erworben. Aus einer Kirche
in Mittelitalien stammt es. Interessant sind Verwandt-
schaftsmomente, die Bode von ihm berichtet und die
seine Chronologie festlegen helfen. Unter altnor-

wegischen Teppichmustern findet sich ein ganz ähnlich be-
handelter Tierteppich. Da er, wie sich aus gewissen
Zügensichererkennenlässt,keinorientalischesProduktist
muss er eine Nachbildung einer asiatischen Knüpfarbeit
des dreizehnten oder vierzehnten Jahrhunderts sein,
eine Frucht der Beutezüge norwegischer Seeräuber.
Noch interessanter aber ist, dass von diesem Teppich
eine alte Abbildung erhalten ist. Hier bewährt sich die
geistreiche Methode Bodes, die Orientteppiche auf den
Gemälden Italiens und der Niederlande vergleichs-
weise zu verfolgen. Dieser Mingteppich nun findet
sich wiederholt im Spedale della Scala zu Siena auf dem
Fresko der „Hochzeit der Findlinge" von Domenico di
Bartolo, das zwischen 1440 und 1444 entstand.

Bemerkenswerte Typen sind auch die Teppiche,
bei denen sich (man denkt an die chinesischen Porzellane
des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Dekor in euro-
päischer Manier) deutlich europäische Einflüsse nach-
weisen lassen. Ein Beispiel mit dreifach wiederholten
üppigen grün-gelben Fruchtkränzen als Rahmen ähnelt
durchaus den Robbiaschen Motiven solcher Früchte-
medaillons. Ein Gegenstück zu diesem echten Orient-
teppiche mit europäischer Physiognomie ist ein wirklich
europäischer Knüpfteppich aus älterer Zeit, der spanische
Teppich in grün und gelb mit den schmal-ovalen Ranken-
medaillons um das gerankte Blattmotiv.

Eines der kuriosesten Beispiele europäisch-orien-
talischer Mischung ist der grosse gelb und mattrosa ge-
tönte Teppich mit drastisch-stofflichen Motiven, die
dieser sonst so unstofflichen Kunst eigentlich ganz fern
stehen. In den vier Ecken sind vignettenartige Bildstücke
von primitiver an alte Miniaturen erinnernder Zeichnung
erkerartig eingeschlossen, je eine Segelgaleere mit Euro-
päern, vermutlich sind Holländer gemeint; der Steuer-
mann ist herausgeschleudert, er kämpft mit den Wellen,
nur den Oberkörper sieht man, und ein grotesker Hai-
fischkopf schnappt nach ihm.

Den edelsten Reiz haben aber zwei, von denen
sich nichts seltsames und abenteuerliches melden lässt,
die nur durch die Symphonie ihrer Farben sprechen.
Eine Fülle einzeln gerahmter Motive schliesst sich auf
ihnen aneinander, fast Musterkarten-ähnlich, Vasen,
Baumverästungen, Fruchtstücke, und doch gross-
zügig vereint. Und eine hauchige Fläche haben sie,
wie Phirsischflaum; ein verschleierter Glanz strahlt aus
von ihnen; in eine leuchtende Tiefe blickt man; ein ge-
borgener, eingebetteter Schmelz, wie bei dem schönsten
Email cloisonne spielt in ihrem tiefen Grunde.

In der Stoffsammlung, die sich umhegt von den
lang herabwallenden Teppichen im Lichthof ausbreitet,
durchwandert man alle Kulturreiche.

Unerschöpflich ist die Fülle: orientalische Gewebe
aus Sammt und Gold, reliefartig auf vertieftem Grund;
persische Stoffe des siebzehnten Jahrhunderts mit grün-

202
 
Annotationen