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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Hitz, Dora: Eugène Carrière
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0274

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dessen Ausdrucksweise nicht das Wort ist, Anderen
durch das Wort verständlich machen will.

Eugene Carriere, der schwer leidend war, ist
wiederhergestellt; aber ob für lange ist eine bange
Frage, wie mir Frau Carriere angstvoll mitteilte.
Seiner Malerei merkt man das Kranksein nicht an.

Da war ein Porträt, Mann, Frau und Kind,
Kniestück, ein Wunderwerk an Konzentrierung
des Ausdrucks und der Lichtführung. Da Carriere
mich frug, ob es mir gefiele, und ich ihm meine
Bewunderung für seine immer mehr sich knapp aus-
drückende Kunst sagte, meinte er: „es ist ein
ewiges Beginnen, ein fortwährendes Suchen auf dem
Wege nach ein und demselben Ziele."

„Vers le meme but".

Wir Deutschen würden sagen, nach ein und
demselben Ideale.

In der That ist das eine Wahrheit, die mir in
Paris öfter aufgefallen ist im Gegensatz zu Deutsch-
land. In Paris sucht ein Künstler wie Carriere in
immer erneuter Anstrengung seine Art und Weise
zur Entfaltung zu bringen, um zum knappsten Aus-
druck seines Könnens und Wollens zu kommen.
Er macht dabei, wie Carriere, fast immer dasselbe
Sujet und das Neue liegt allein in der Vertiefung
seiner Kunst.

Bei uns wird dagegen von ein und demselben
Individuum immerwährend Abwechslung verlangt,
ja es heisst oft von einem Künstler, nun kennen
wir diese seine Flachlandschaften, oder seine halb-
wüchsigen Mädchengestalten haben wir nun gehabt
— anstatt dem Künstler Ruhe zu lassen, sein Werk
und sich selbst auszuleben.

Der Besuch am Freitag, dem Empfangstage
Carrieres in seinem Atelier, ist in seiner Art charak-
teristisch auch für den Künstler. Wie seine Bilder
immer seine Familie darstellen mit Ausnahme der
Porträts, die er im Auftrage malt, so ist auch das
Atelier meist angefüllt mit Familie und alle freuen
sich mit einer naiven Freude an den Werken, die
herumstehen. Diese Innigkeit und Einfachheit seines
Familienlebens ist bezeichnend für den ganzen Men-
schen, den Künstler mit einbegriffen. Im Gespräch
sagte Carriere einmal, bezugnehmend auf die Werke
von Benjamin Constant, die immer flacher und
oberflächlicher wurden und dessen mondänes Leben
ihn zu einer Vertiefung seiner Arbeit nicht kommen
liess: „wie kann man so thöricht sein, wenn man
Frau und Kinder hat, seine Zeit und einen Teil
seiner Kraft einem Kreis von Leuten zu geben,
denen man innerlich völlig fremd ist." Es ist ein

Familienleben im besten Sinne des Wortes, das
Carriere führt. Jeder trägt, nach seiner Kraft,
einen Teil bei zur harmonischen Gestaltung des
Ganzen. Und wie hat Frau Carriere mitgeholfen,
mitgebaut!

Man könnte bei ihr und nach ihrem Beispiele
bei manchen Künstlerfrauen von den „Frauen in
der Kunst" sprechen. Von den Frauen, deren selbst-
loser Liebe die Welt die Existenz so mancher
Kunstwerke, die sie bewundert, zu danken hat.
Es braucht gar nicht mal der Fall zu liegen wie
bei Frau Carriere, die dem auf das denkbar ein-
fachste geführten Haushalt ohne jeden Anspruch
für sich selbst vorstand, der Kunst des Mannes die
Sorgen und Mühen ferne haltend. Denn schwere
Zeiten haben Beide im Beginn der Ehe zusammen
tapfer und ohne Klage bestanden, nur der Freude
ihrer Kinder und der Arbeit lebend. — Babys gab
es immer.

Carriere ist, zeichnend und malend, im gemein-
samen Wohnzimmer, am Wochenbett seiner Frau,
am Esstisch, überall zu finden, wo sein Auge mo-
mentan gefesselt wird, und so kam es, dass Carriere
und seine Kunst auf's Engste mit seiner Familie
verbunden ist. Carriere und ein Modell ist undenk-
bar.

Die Innerlichkeit, die seelische Vertiefung seiner
Werke in seinen Bildern beruht auf steter liebe-
voller und eindringender Beobachtung wie es
Fremden gegenüber gar nicht möglich ist. Es ist
dadurch in seinen Bildern etwas, das den Laien bei-
nahe Recht zu geben scheint, wenn sie mit ihren
Forderungen an ein Kunstwerk herantreten. Nur,
was sie nicht sehen, ist, dass diese Innerlichkeit,
dieses mysteriöse au delä, nur so gewaltig auf den
Beschauer wirken kann, weil alle künstlerischen
Forderungen von Raumverteilung in schwarz und
weiss in eminentester Weise erfüllt sind. Dazu
kommt Carrieres Genie der Lichtführung, wodurch
das Auge des Beschauers geleitet wird. Willenlos
und unbewusst folgt es dem Rhythmus des Kunst-
werkes. Der Beschauer ist das Instrument geworden,
dessen Saiten erklingen, wo der Künstler will. Er-
klingen müssen.

Bei dem oben angeführten Familienporträt setzt
das Licht leise bei dem Kopf der Mutter ein, geht
schmeichelnd am Arm der Frau entlang bis da, wo
die beiden Hände, die stützende der Mutter und die
dicke kleine Faust des Kindes, sich zusammen fügen.
Hier wird uns ein Halt zugerufen durch ein stär-
keres Aufschlagen von Hell und Dunkel, das dann

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