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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Swarzenski, Georg: Altes Porzellan, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0286

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junger Apothekerlehrling in Berlin an. Er war als
Sonntagskind geboren, und als solchem stand ihm die
verführerische Karriere eines Adepten offen: er ver-
legt sich auf die Goldmacherei und sucht den Stein
der Weisen. Vorspiegelung falscher Thatsachen;
Flucht nach Sachsen (1701). Der Preussenkönig
und der kurfürstliche Polenkönig reissen sich um
ihn, aber da dieser einmal seine Hand auf ihn ge-
legt hat, liefert er natürlich die „wertvolle Person"
nicht aus. Böttger kommt in sächsischen Arrest,
wird ängstlich gehütet und seine adeptischen Künste
werden mit dem largesten Aufwand von Mitteln
gefördert. Es war ein freier Arrest und Böttger lebt
dabei wie ein Fürst; er ist trotzdem kaum zu halten,
er will Bewegungsfreiheit — weniger vielleicht der
Freiheit wegen, als um der drohenden Entlarvung als
Schwindler zu entgehen — er markiert sogar Selbst-
mord, aber gerade der König lässt nicht locker.
Schliesslich rückt er doch aus, wird aber bald wieder
zurückgebracht. Das wari707und schon 17 iokonnte
die Porzellanfabrik in Dresden — sie war dort nur
einige Monate — gegründet werden. Der Adept hatte
den schwankenden Boden der Goldmacherei ver-
lassen, kam auf die Keramik, und das Resultat seiner
Bemühungen — die Herstellung des Porzellans —
brachte den entscheidendsten Umschwung in der Ge-
schichte der europäischen Keramik und dem König
volle Kassen. Er selbst hat die folgenden Jahre sehr
wüst in Trunksucht, Schlämmerei und Unordnung
verlebt und stirbt bei jungen Jahren (1719).

Es ist interessant zu beobachten, wie hier aus
abenteuerlichen Experimenten und phantastischem
Glauben, aus Mystizismus und Mystifikation solide,
geordnete, rentable Fabrikbetriebe entstehen. Zwar
spielt auch später hier die Geheimniskrämerei eine
grosse Rolle, — dieser ganze Hokuspokus an „selt-
samen und höheren Kunstgeheimnissen"; der Ar-
kanist ist in jeder Manufaktur lange Zeit noch eine
Hauptperson und erst gegen Ende des Jahrhunderts
beginnt man sich darüber zumoquieren. Das Inter-
essanteste ist aber, dass auch hier der Unterschied
im Grunde genommen formaler Natur ist, wie in
der Geschichte des Geschmackes selbst. Denn wenn
sich damals die höchsten Instanzen so eifrig mit
derartigen bedenklichen Existenzen einliessen und
ganz intensiv ihre zweifelhaften Künste förderten,
so ist das nicht nur das Zeichen einer gewissen
moralischen Skrupellosigkeit, sondern zugleich auch
die primitivere, vagere, aber zugleich auch kühnere,
phantasievollere Form desselben wirtschaftlichen
Prinzips, das unter dem landesväterlichen Regiment

des aufgeklärten Despotismus in solidere, gesetz-
mässigere, erfolgreichere Bahnen kam. Denn wie
die Entstehungsgeschichte des europäischen Por-
zellans mit der Goldmacherei zusammenhängt, so
ist die ganze weitere Geschichte dieser Kunst un-
denkbar ohne dieses System, das man den Merkan-
tilismus des 18. Jahrhunderts nennt. Und das Ziel
dieses Systems, wie es das ganze Jahrhundert herrschte,
bis die physiokratische Schule lehrte, dass der Reich-
tum eines Landes in seiner „physischen" Kraft liegt,
im Ackerbau u. s. w., war nichts anderes als —
Geld machen.

Diesem Ideal der damaligen Wirtschaftspolitik
kam das Porzellan in einer überraschenden Weise
entgegen. Denn es war keineswegs nur fürstliche
Liebhaberei und Eifersucht, wenn nach dem Vor-
bilde Meissens nun an den verschiedensten Orten
derartige Manufakturen entstehen, sonden es waren
auch sehr reale Gründe hier im Spiel. Für das ost-
asiatische Porzellan wanderten jährlich grosse
Summen nach China und Japan und man nennt
sehr bezeichnend die Chinesen Sachsens porzellanene
Schröpfköpfe. Man hatte also wenigstens in jedem
Lande, das keine direkten Handelsbeziehungen
mit Ostasien hatte, ein sehr reelles Interesse, sich
von diesem Markte zu emanzipieren. Dazu kam
die positive Aussicht, durch die Gründung einer
Manufaktur die im Sinne des Merkantilismus er-
sehnte sprudelnde Geldquelle im Lande zu haben.
Natürlich treten alle Machtmittel dieses protektio-
nistischen Systems in Spielkraft. Jede Fabrik ist
selbstverständlich Monopol und durch Einfuhr-
verbote vor der Konkurrenz gesichert; sie erhält
gratis Grund und Boden und Grundstücke, geniesst
Freiheit vor Accisen, Zollfreiheit für alle Uten-
silien, sie bezieht umsonst oder zu reduziertem
Preise, was das Land selbst an Fabrikationsmaterial
liefert, die fürstlichen Waldungen geben das Brenn«
material, die Privatschatulle und andere Staatskassen
geben Zuschüsse oder zinsfreie Darlehen, man hat
Fonds „zu geheimer Verwendung", um die Arcana
anderer Fabriken zu besorgen, man veranstaltet
Lotterien und die Arbeiter erhalten einen Teil des
Lohnes in Fabrikware. In Meissen ging es glänzend.
1732 hat man schon grosse Bestellungen nach der
Türkei und mit Beginn der zweiten Hälfte des Jahr-
hunderts beträgt die Einnahme fast eineViertelMillion
Thaler. Schlechterstand es um die vielen „kleinen",
später gegründeten Manufakturen. Viele konn-
ten sich nach einer kurzen Thätigkeit nicht halten,
sie verschwinden meist mit dem neuen Jahrhundert.

DER SCHLUSS IN DER NÄCHSTEN NUMMER

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