amtenwohnungen erhalten vonihnen ihre Stimmung.
Sie gelten dort für Geschichtsbilder. Unendlich
trocken und steif stehen meistens zwölf bis sechzig
uniformierte, auffallend ausdrucksloseHerrenherum.
Man denkt, ein Modebild für Militärschneider,
eine Illustration zur Kleiderordnung; aber die Unter-
schrift stellt fest: ein Geschichtsbild, ein grosser
Moment aus einer grossen Zeit; König Wilhelms
Kriegsrat, die Kapitulation von Sedan, die Kaiser-
proklamation in Versailles. Vorher wollte man
lachen; jetzt möchte man lieber weinen, wenn die
Langeweile nicht jeden Affekt ausschlösse.
Was fühlt Herr von Werner selbst bei seinen
Bildern?
Auch er, darf man zuversichtlich sagen, Nichts.
— In seinen Reden beruft er sich bei jeder Ge-
legenheit ausgiebig auf die Wärme seiner patrio-
tischen Begeisterung. Aber dann sollte sich doch
ein Wenig wenigstens von dieser Erregung in seiner
Handschrift, seinerMalerei, erkennen lassen. Menzel,
wenn er Friedrich den Grossen zeichnet, blitzt und
zittert vor Erregung, die sich im Leben seiner Linien,
Lichter, Schatten mitteilt. Goyas „Dos de Mayo"
und Raffers „Revue Nocturne" sind von der Stim-
mung der Kriege Napoleons, von Sieg und Schmach,
so getränkt, dass sie noch immer gegeneinander wie
gespenstische Kämpfer die ganze Leidenschaft der
Zeit wachrufen. Blosse Porträts vermitteln uns die
Erschütterung ihrer Maler: Velazquez, oder noch
Lenbach. — Und Herr von Werner malt die Kaiser-
proklamation so.
„Mehrere Dutzend Stiefel" hat er selbst gesagt.
Also Herr von Werner sieht die vaterländische
Geschichte so, ohne irgend ein eigenes Gefühl,
ausser vielleicht der Ehrerbietung vor Stulpstiefeln.
Und aus dieser korrekten Haltung des Muster-
beamten, die noch nicht einmal Patriotismus ist,
da ihr die Liebe fehlt, aus dieser blossen „guten
Gesinnung" heraus, glaubt er Kunst schöpfen zu
können.
Das ist das erste Merkmal der Kunstauffassung,
die mit Herrn von Werner am Ruder ist: dieser
Glaube an die Fruchtbarkeit der bloss verstandes-
mässigen „Gesinnung". Das ist das erste bei dieser
kurlturpathologischen Untersuchung festzustellende
Symptom.
Aber in diesem Symptom zeigt sich ein Mangel,
der noch viel weiter und tiefer geht: die Unkennt-
nis, dass Gefühl zum künstlerischen Schaffen gehört.
Herr von Werner weiss nicht, dass der Künstler mit
dem Gefühl, den Linien-, Farben-, Raum und Form-
gefühle schafft. Er sagt besorgt: „Welche Fragen
stellt die Zukunft an uns Maler, wenn einst die
Photographie dahin gelangen sollte, farbige Nach-
bildungen der Natur zu erzielen?" (Redevon 1003.)
Und darauf schweigt er und verzweifelt. Auf das
Gefühl kommt er nicht. Er ist seit dreissig Jahren
Akademiedirektor; aber er hat noch immer nicht
entdeckt, dass Künstler im Gegensatz zu photo-
graphischen Apparaten mit dem Gefühle schaffen.
Man hält es nicht für möglich. Man fürchtet, Herrn
von Werner Unrecht zu thun. Aber er ist mehrere
Male auf diese Frage zurückgekommen, was die
Photographie von der Malerei unterscheide. Und
jedesmal hat er darauf ebenso ratlos stillgeschwiegen.
Das Auge des Malers und die Linse des photogra-
phischen Apparats unterscheiden sich wirklich für
ihn durch nichts Wesentliches, Greifbares. Das Ge-
fühl und die vom Gefühl beseelten Musen: Phantasie
und Geschmack, sind ihm nicht vorgestellt. Er
kennt nur Kunst ohne Gefühl, ohne Phantasie,
ohne Geschmack.
»
Daraus folgt, was er in der Natur für die Kunst
sucht und in der Kunst kennt und anerkennt.
In der Natur, nicht was zum Gefühle spricht:
die Melodie der Linien und Farben, die rätsel-
haften Wirkungen, die ohne Umweg durch den
Verstand im warmen Urschoss des Gefühls gebettet
bleiben; sondern nur was die Vernunft betasten
kann, die photographische Thatsache: den Baum,
das Haus, den Herren so und so, — und die
Beziehungen solcher Thatsachen: den Witz, die
Anekdote, das Ereignis.
Diese Borniertheit seines Ausblicks auf die Natur
zeigt er naiv, wo er einmal Menzel gegen die Im-
pressionisten ausspielt. „Er (Menzel) führt uns in
eine behagliche Kommerzienratsfamilie in BerlinW.,
die Reiseprojekte macht . . . oder zu dem sich der
Sommerfrische erfreuenden, in der Hängematte
nach dem Mittagessen (!) behaglich sich schaukeln-
den petit-bourgeois; lauter Impressionen (!) ... Aber
wie verschieden von all dem, was wir in den letzten
Jahren als Impressionismus in der Kunst . . . haben
anpreisen hören, ist dieser Menzelsche Impressio-
nismus ! Allerdings ist nur ein ganz kleiner Unter-
schied zwischen beiden: Menzel hat wirklich Ein-
drücke aus der Natur empfangen . . . die Anderen
glaubten (bloss) Eindrücke zu haben."
:88
Sie gelten dort für Geschichtsbilder. Unendlich
trocken und steif stehen meistens zwölf bis sechzig
uniformierte, auffallend ausdrucksloseHerrenherum.
Man denkt, ein Modebild für Militärschneider,
eine Illustration zur Kleiderordnung; aber die Unter-
schrift stellt fest: ein Geschichtsbild, ein grosser
Moment aus einer grossen Zeit; König Wilhelms
Kriegsrat, die Kapitulation von Sedan, die Kaiser-
proklamation in Versailles. Vorher wollte man
lachen; jetzt möchte man lieber weinen, wenn die
Langeweile nicht jeden Affekt ausschlösse.
Was fühlt Herr von Werner selbst bei seinen
Bildern?
Auch er, darf man zuversichtlich sagen, Nichts.
— In seinen Reden beruft er sich bei jeder Ge-
legenheit ausgiebig auf die Wärme seiner patrio-
tischen Begeisterung. Aber dann sollte sich doch
ein Wenig wenigstens von dieser Erregung in seiner
Handschrift, seinerMalerei, erkennen lassen. Menzel,
wenn er Friedrich den Grossen zeichnet, blitzt und
zittert vor Erregung, die sich im Leben seiner Linien,
Lichter, Schatten mitteilt. Goyas „Dos de Mayo"
und Raffers „Revue Nocturne" sind von der Stim-
mung der Kriege Napoleons, von Sieg und Schmach,
so getränkt, dass sie noch immer gegeneinander wie
gespenstische Kämpfer die ganze Leidenschaft der
Zeit wachrufen. Blosse Porträts vermitteln uns die
Erschütterung ihrer Maler: Velazquez, oder noch
Lenbach. — Und Herr von Werner malt die Kaiser-
proklamation so.
„Mehrere Dutzend Stiefel" hat er selbst gesagt.
Also Herr von Werner sieht die vaterländische
Geschichte so, ohne irgend ein eigenes Gefühl,
ausser vielleicht der Ehrerbietung vor Stulpstiefeln.
Und aus dieser korrekten Haltung des Muster-
beamten, die noch nicht einmal Patriotismus ist,
da ihr die Liebe fehlt, aus dieser blossen „guten
Gesinnung" heraus, glaubt er Kunst schöpfen zu
können.
Das ist das erste Merkmal der Kunstauffassung,
die mit Herrn von Werner am Ruder ist: dieser
Glaube an die Fruchtbarkeit der bloss verstandes-
mässigen „Gesinnung". Das ist das erste bei dieser
kurlturpathologischen Untersuchung festzustellende
Symptom.
Aber in diesem Symptom zeigt sich ein Mangel,
der noch viel weiter und tiefer geht: die Unkennt-
nis, dass Gefühl zum künstlerischen Schaffen gehört.
Herr von Werner weiss nicht, dass der Künstler mit
dem Gefühl, den Linien-, Farben-, Raum und Form-
gefühle schafft. Er sagt besorgt: „Welche Fragen
stellt die Zukunft an uns Maler, wenn einst die
Photographie dahin gelangen sollte, farbige Nach-
bildungen der Natur zu erzielen?" (Redevon 1003.)
Und darauf schweigt er und verzweifelt. Auf das
Gefühl kommt er nicht. Er ist seit dreissig Jahren
Akademiedirektor; aber er hat noch immer nicht
entdeckt, dass Künstler im Gegensatz zu photo-
graphischen Apparaten mit dem Gefühle schaffen.
Man hält es nicht für möglich. Man fürchtet, Herrn
von Werner Unrecht zu thun. Aber er ist mehrere
Male auf diese Frage zurückgekommen, was die
Photographie von der Malerei unterscheide. Und
jedesmal hat er darauf ebenso ratlos stillgeschwiegen.
Das Auge des Malers und die Linse des photogra-
phischen Apparats unterscheiden sich wirklich für
ihn durch nichts Wesentliches, Greifbares. Das Ge-
fühl und die vom Gefühl beseelten Musen: Phantasie
und Geschmack, sind ihm nicht vorgestellt. Er
kennt nur Kunst ohne Gefühl, ohne Phantasie,
ohne Geschmack.
»
Daraus folgt, was er in der Natur für die Kunst
sucht und in der Kunst kennt und anerkennt.
In der Natur, nicht was zum Gefühle spricht:
die Melodie der Linien und Farben, die rätsel-
haften Wirkungen, die ohne Umweg durch den
Verstand im warmen Urschoss des Gefühls gebettet
bleiben; sondern nur was die Vernunft betasten
kann, die photographische Thatsache: den Baum,
das Haus, den Herren so und so, — und die
Beziehungen solcher Thatsachen: den Witz, die
Anekdote, das Ereignis.
Diese Borniertheit seines Ausblicks auf die Natur
zeigt er naiv, wo er einmal Menzel gegen die Im-
pressionisten ausspielt. „Er (Menzel) führt uns in
eine behagliche Kommerzienratsfamilie in BerlinW.,
die Reiseprojekte macht . . . oder zu dem sich der
Sommerfrische erfreuenden, in der Hängematte
nach dem Mittagessen (!) behaglich sich schaukeln-
den petit-bourgeois; lauter Impressionen (!) ... Aber
wie verschieden von all dem, was wir in den letzten
Jahren als Impressionismus in der Kunst . . . haben
anpreisen hören, ist dieser Menzelsche Impressio-
nismus ! Allerdings ist nur ein ganz kleiner Unter-
schied zwischen beiden: Menzel hat wirklich Ein-
drücke aus der Natur empfangen . . . die Anderen
glaubten (bloss) Eindrücke zu haben."
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