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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [1]
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das Aufrechterhalten seiner Auffassung den Behaup-
tungen dieses oder jenes gegenüber.

Ich habe mich in der letzten Zeit besonders
wenig mit Malern unterhalten und habe mich da-
bei nicht schlecht befunden. Man muss nicht so
sehr auf die Sprache der Maler, wie auf die Sprache
der Natur horchen. Ich kann jetzt besser begreifen,
als vor einem halben Jahr, dass Mauve sagen konnte:
„Sprich mir doch nicht über Dupre, sprich mir
lieber vom Rand deines Grabens, oder von derglei-
chen." Das klingt wohl seltsam, ist aber voll-
kommen richtig. Das Empfinden für die Dinge an
sich, für die Wirklichkeit ist von grösserer Wich-
tigkeit als das Empfinden der Malerei; es ist frucht-
barer und belebender.

Was ich noch in Bezug auf den Unterschied
zwischen der alten und der modernen Kunst sagen
wollte: Die neuen Künstler sind vielleicht grössere
Denker.

Rembrandt undRuysdael sind gross und erhaben,
und für uns genau in derselben Weise wie für ihre
Zeitgenossen, aber in dem Modernen liegt etwas
Persönlicheres, Intimeres, das mehr zu uns spricht.

Ich habe heute wieder eine Studie von der
kleinen Kinderwiege gezeichnet und farbige Striche
hineingesetzt. Ich werde die kleine Wiege, hoffe
ich, ausser heute wohl noch hundert mal zeichnen
— mit Hartnäckigkeit.

III.

Haas

Um Studien draussen aufzunehmen, und um
eine kleine Skizze zu machen, ist ein stark ent-
wickeltes Gefühl für den Contour durchaus erfor-
derlich, ebenso wie für die spätere weitere Aus-
führung.

Das bekommt man nun, glaube ich, nicht von
selbst, sondern in erster Reihe durch Beobachtung,
ferner besonders durch hartnäckiges Arbeiten und
Suchen: ausserdem muss aber ohne Zweifel ein
Studium derAnatomie und Perspektive dazu kommen.

Neben mir hängt eine Landschaftsstudie von
Roeloffs (eine Federzeichnung), aber ich kann Dir
gar nicht sagen, wie ausdrucksvoll der einfache Con-
tour darin ist. Es liegt eben Alles darin.

Ein anderes noch treffenderes Beispiel ist der
grosse Holzschnitt „Bergere" von Miller, den ich
im vorigen Jahr bei Dir sah, und der mir seitdem
lebhaft in der Erinnerung geblieben ist. Ausserdem

z. B. die kleinen Federzeichnungen von Ostade und
dem Bauern-Breughel.

Ich habe die alte Kappweide noch in An-
griff genommen und ich glaube, dass dies das beste
meiner Aquarelle geworden ist. Eine düstere Land-
schaft. Ich habe sie so machen wollen, dass man
dem Bahnwärter mit seinem Kiel und der roten
Flagge seine Gedanken: „Ach, wie trübe ist es doch
heute!" ansehen und nachfühlen muss.

Ich arbeite in diesen Tagen mit vielem Ver-
gnügen, obgleich ich hin und wieder die Nachwehen
meiner Krankheit noch gründlich fühle. Was nun
die Kaufwerte meiner Arbeiten anbetrifft, so sollte
es mich sehr wundern, wenn mit der Zeit meine
Arbeiten nicht ebenso gut gekauft werden sollten,
wie die der Andern. Ob das jetzt geschieht oder
später ist mir ganz gleichgültig. Aber getreu und
eifrig nach der Natur zu arbeiten, ist, wie mir scheint,
ein sicherer Weg, der zum Ziele führen muss.

Das Gefühl und die Liebe zur Natur findet
früher oder später bei Menschen, die sich für die
Kunst interessieren, immer einen Widerhall. Es
ist also Pflicht des Malers, sich ganz in die Natur
zu vertiefen, seine ganze Intelligenz anzuwenden und
sein Empfinden in sein Werk zu legen, sodass es auch
Anderen verständlich wird. Aber auf den Verkauf
hin zu arbeiten, ist meiner Ansicht nach nicht der
richtige Weg, man soll ebenfallsnichtden Geschmack
der Liebhaber berücksichtigen, — das haben die
Grossen nicht gethan. Die Sympathie, die sie sich
früher oder später erwarben, hatten sie nur ihrer
Aufrichtigkeit zuzuschreiben. Mehr weiss ich
darüber nicht, glaube auch nicht, dass ich mehr dar-
über zu wissen brauche. Dass man arbeitet, um
Liebhaber zu finden und Liebe bei ihnen zu erwecken,
das ist etwas anderes und natürlich etwas Erlaubtes.
Aber es soll nicht zur Spekulation werden, die viel-
leicht verkehrt auslaufen könnte, um derentwillen
sicherlich Zeit nutzlos vergeudet würde.

Du wirst in meinen jetzigen Aquarellen noch
Sachen finden, die heraus müssten — aber das muss
die Zeit bringen. Versteh mich nur recht: ich bin
sehr weit davon entfernt, mich an ein System oder
etwas ähnliches zu halten.

Nun lebe wohl — und glaube, dass ich manch-
mal herzlich darüber lachen muss, dass die Leute
mir (der ich eigentlich nichts anderes bin als ein
Freund der Natur, des Studiums, der Arbeiten erster
Reihe aber auch der Menschen) gewisse Absurdi-
täten und Bosheiten, an die nicht ein Haar auf
meinem Kopf denkt, zum Vorwurf machen.

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