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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Aus der Correspondenz Vincent van Goghs, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0368

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IV.

Haag 83.

Ich war in diesen Tagen noch einmal in Sche-
veningen, lieber Theo, und hatte an einem Abend
das Vergnügen, das Einlaufen eines Fischerbootes
zu beobachten. Neben dem Denkmal liegt ein
Bretterhäuschen, auf dem ein Mann auf der Warte
steht. Sobald das Schiff deutlich sichtbar wird,
kommt er mit einer grossen blauen Fahne zum Vor-
schein, hinter ihm eine Schar kleiner Kinder, die
ihm nicht einmal bis zu den Knieen reichen. An-
scheinend ist es für sie ein grosses Vergnügen neben
dem Manne mit der Fahne zu stehen. Ihrer Ansicht
nach tragen sie sehr viel dazu bei, dass das Fischer-
boot gut einläuft. Ein paar Minuten, nachdem der
Mann mit seiner Flagge geweht hat, kommt ein
Mann auf einem alten Pferd daher, der den Anker
einholen soll. Männer und Frauen, auch Mütter
mit Kindern treten jetzt dazu, um das Fahrzeug zu
empfangen.

Sobald das Schiff dicht genug heran ist, geht
der Mann zu Pferde in See, und kommt bald darauf
mit dem Anker wieder zurück.

Danach werden die Schiffer auf dem Rücken
der Männer mit hohen Wasserstiefeln ans Land ge-
bracht, und frohe Willkommensrufe begrüssen jeden
neuen Ankömmling.

Nachdem alle versammelt sind, marschiert der
Trupp nach Hause wie eine Herde Schafe oder

eine Karawane, voran der Mann auf dem Kameel, —
ich meine auf dem Pferd — der sie wie ein grosser
Schatten überragt.

Natürlich habe ich mit angestrengter Auf-
merksamkeit die verschiedenen Vorfälle zu skizzieren
versucht. Habe auch etwas davon gemalt, besonders
die kleine Gruppe, die ich hier hin kritzele. . . .
Du siehst an der beigefügten Kritzelei, auf was mein
Suchen gerichtet ist: auf die Volksgruppen, die
dieser oder jener Beschäftigung nachgehen. Aber
wie schwer ist es, da Leben und Bewegung hinein-
zubringen, und die Figuren an ihre Stelle und von
einander fort zu bekommen! Das ist eine sehr
schwierige Aufgabe: das Wogen der Menge, die
Gruppe von Figuren, die, obschon sie von oben
gesehen ein Ganzes bilden, mit dem Kopf oder den
Schultern über die andern hinausragen. Während
im Vordergrund die Beine der ersten Gestalten sich
kräftig abheben, bilden weiter oben die Röcke und
Hosen ein starkes Durcheinander, in dem aber doch
viel Zeichnung steckt. Und dann rechts und links,
je nach dem Augenpunkt, die weitere Ausdehnung
oder Verkürzung der Seiten. Zur Composition ge-
stalten sich mir alle möglichen Scenen und Figuren —
ein Markt, das Ankommen eines Schiffes, ein Trupp
Menschen vor einer Volksküche, die auf der Strasse
wallende und schwatzende Menge — nach derselben
Grundregel von der Herde Schafe — und es kommt
alles auf Licht und Schatten und Perspective an.

VINCENT VAN GOGH, LANDSCHAFT MIT AECKERN
 
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