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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Sickert, Oswald: Die Westminster-Kathedrale in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0370

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INNERES DER WESTMINSTER-KATHEDRALE

hat, indem er zum byzantinischen Stil statt zur
Gotik zurückgrifF, um ein grosses Bauwerk den
heutigen Bedingungen anzupassen.

Somit ist denn die Westminster-Kathedrale da-
durch ein Symptom des Zeitgeschmacks, dass sie nicht
gotisch ist. Wäre die Arbeit dreissig Jahre früher
begonnen worden, hätte man uns unbedingt ein
gotisches Bauwerk beschieden, und wirklich glichen
die Zeichnungen, die in den siebziger Jahren dem
verstorbenen Kardinal Manning für den Bau unter-
breitet wurden, dem kölner Dom. Abgesehen von
dem Wechsel der Mode können noch andere
Gründe für die Verwerfung der Gotik angeführt
werden. Erstens kamen die Kosten in Frage und
zweitens der Widerwille, auch nur die leiseste
Rivalität mit der Westminster-Abtei zu versuchen.

Ausschlaggebender aber als die erwähnten Gründe
war der mächtige politische Wunsch des Kardinals
Vaughan, die erste römisch-katholische Kirche in
England im tadellos ursprünglichen christlichen Stil
zu erbauen. Vor dreissig, zwanzig, ja selbst noch
vor fünfzehn Jahren ging die Opposition gegen
den Katholizismus sowohl von den Nichtkonfor-
misten wie von den Anglikanern aus, da beide Sekten
ihre Geschichte von der Reformation an datierten.
Heutzutage ist das Nichtkonformistsein ziemlich
unhaltbar und die englische Kirche ist nicht mehr
protestantisch. Der typische Anglikaner von heute
fühlt sich als Katholik und stösst sich nicht an der
katholischen Begeisterung für die Kirche, das Rituell,
den Weihrauch, die Beichte oder den Prunk der
Priestergewänder. Ausser der Thatsache, dass er die

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