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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Sickert, Oswald: Die Westminster-Kathedrale in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0372

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und da merkt er, dass die Unruhe und das Aerger-
nis nur zu begründet sind und im Auge aber mehr
noch in jenem instinktiven Gefühl für die Schwer-
kraft liegen, in dessen Befriedigung das Bauhand-
werk erst zur Kunst geadelt wird. Die Kuppeln
sind nicht gestützt, sie haben nicht durch irgend
eine besondere Struktur Halt, sondern nur durch
die verborgenen, uninteressanten und bedeutungs-
losen bindenden Eigenschaften des Zements. Die
Art und Weise, eine Kuppel so zu bauen oder
eigentlich zusammenzukleben, übertrifft nur um
wenig die Kunstfertigkeit des Kindes, welches am
Meeresstrande seine Formen aus einem mit nassen
Sande vollgestopften Eimer stülpt. Ein gewölbtes
Gerippe in der notwendigen Form und Grösse
wurde aus Brettern angefertigt und in die richtige
Lage oberhalb des Mittelschiffes gebracht. Darauf
kam eine Lage Zement, und als sie trocken war,
eine zweite, und sofort, bis einige hundert Tonnen
Zement fest waren; darauf wurde die Holzform,
die an der Oberfläche mit Sand bedeckt war, um
das Kleben zu vermeiden, herausgenommen. Die
Spuren der geschickt an einander gereihten Bretter
sind noch sichtbar an der Innenfläche und sind das
einzige Charakteristische an den Kuppeln. Das kann
man kaum Bauen nennen, das heisst einfach Formen
aus Lehm in erstaunlich grossem Massstabe aus-
führen.

Ich verstehe auch nicht, warum man über den
Umstand so frohlocken soll, der bei Gelegenheit
dieser Kuppeln mit Stolz ausposaunt wurde, dass
kein Eisen bei der Konstruktion benutzt wurde.
Der Einwand, den man gegen Stahl als Stütze bei
Bauwerken macht, gründet sich auf die Thatsache,
dass seine Wirksamkeit nicht auf den ersteh Blick
verständlich ist. Stein und Ziegel als Bestandteile
von Bogen oder Wölbung sind beredt und sprechen
eine deutliche Sprache von Gewicht und ihrer
Auflage; dass ein solches stolzes Bauwerk aufrecht
steht und nicht zu Boden fällt, ist ein beredtes
Zeugnis für entfaltete, nicht für herausgeforderte
Kräfte. Aber man kann der ernstesten Forschung
Trotz bieten, und all unserm angezogenen Wissen
von der Architektur ins Gesicht schlagen, sowie
man das fabelhafte Produkt der Schmiede mit seiner
unerhörten Widerstandskraft anwenden will. Man
kann mit Hülfe von Stahlträgern Wunder an Höhe
und Ausdehnung schaffen, die von Nutzen Sein
können; sie werfen zwar all unser Wissen um,
aber auch das Erstarren von getrocknetem Zement
sagt uns nicht viel, und Lehmkuppeln geben auch

kein künstlerisches Zeugnis vom Gleichgewicht der
Kräfte. Wenn also der Architekt nur eine Wölbung
im Dach bezweckte b welche keinen Anspruch auf
architektonische Wichtigkeit macht, sondern aus-
schliesslich zur Anbringung von Mosaiken dienen
soll, so scheint mir das Verwerfen des Stahls als
Hülfsmaterial ein finsterer Aberglauben zu sein.

Und doch würde ich tausendmal lieber die
Kuppeln in ihrem jetzigen unfertigen Stadium hin-
nehmen als Schlacken in einem herrlichen Bauwerk,
anstatt die Aussicht auf Anbringung von Mosaiken
zu haben. Und das nicht einmal so sehr, weil ich
wenig Zutrauen habe, dass annehmbare Mosaiken in
den Kuppeln entstehen, als weil die hier in Aussicht
genommenen Mosaiken nur ein Teil der geplanten
Innen-Ausschmückung sind. Diese wird nach und
nach das ernst reizvolle Ziegelwerk, in seinem
harmonisch gedämpften, bescheidenen Gelbbraun,
durch eine Verkleidung von schwarzem und grünem
Marmor und bunten Glasstückchen, welche die
Kirchengeschichte erzählen, verdecken. Die römi-
schen Katholiken haben den Triumph, im Lauf von
zehn Jahren ein Bauwerk errichtet zu haben, welches
ein Jahr nach seiner Vollendung älter und ehr-
würdiger als irgend eine Kirche des Landes aussieht.
Und das ist mit Vornehmheit, ohne kleinliche
Kunststücke, erreicht worden. Und nun soll diese
solide, ehrliche Schönheit gegen den oberflächlichen
Glanz des bunten Marmors vertauscht werden!
Bis zur Höhe von vierzig Fuss ist für die Wände
eine Marmorverkleidung und darüber das Mosaik
projektiert. Wenn diese Tapezier- und Maler-Arbeit
gethan ist, wird niemand mehr die feine Struktur
des Gebäudes durchfühlen, und das Imponierende
der zehn Millionen Ziegel ist dahin!

Wenn selbst die Wirkung der fertigen Marmor-
verkleidung weniger unharmonisch sein wird, als
zu befürchten ist, bleibt jedenfalls der architekto-
nische Verlust höchst bedauerlich. In den Kapellen
von St. Georg und St. Augustinus hat die Arbeit
bereits begonnen. Zolldicke Lagen von schwarzem
und grünem Marmor, welche mit einer Präzision,
die unserm Zeitalter der Maschinen Ehre macht,
zugeschnitten sind, liegen schon bereit. Der not-
wendige Raum ist an der Wandfläche mit Zement
bestrichen, und das fertige Fournierholz ist aufge-
legt. Die Ziegel sind unverstrichen gelassen, damit
die Verkleidung besser hält. An einer anderen
Stelle ist eine Art Rahmen aus weissem Marmor
auf die Ziegel geklebt, in den eine Füllung von
verde antico, pavonazzo oder breccia violetta ein-

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