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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 2.1904

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Bode, Wilhelm von: Die amerikanischen Gemäldesammlungen in ihrer neueren Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.3550#0388

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hervorragendsten Künstler des 10. Jahrhunderts,
namentlich der Schule von Fontainebleau, die ja in
Amerika weit besser und reicher vertreten ist als selbst
in Frankreich. Für den Text sind die bekannte-
sten Kunstgelehrten hüben und drüben gewonnen.
Das wird ein Standard-Work über den Besitz an
klassischen Gemälden in Amerika werden, das —
bei der raschen Zunahme der Sammlungen — schon
ein Jahrzehnt nach dem Abschluss um verschiedene
Supplementwerke wird vermehrt werden müssen.
Dass es verhältnismässig rasch erscheinen wird, —
der erste Band wird noch in diesem Jahre ausge-
geben werden — dafür bürgt die Rührigkeit und
Energie der Leute, die es übernommen haben.
Immerhin wird aber eine Reihe von Jahren darüber
hingehen. Die Sammlungen, die ich vor Jahresfrist
an dieser Stelle kurz genannt und über die ich vor
zehn Jahren eine ausführlichere Ueb ersieht in der
„Zeitschrift für bildende Kunst" gegeben habe,
haben sich meist wesentlich bereichert, und eine
mindestens ebenso grosse Zahl neuer Galerien ist
hinzugekommen. An der Spitze steht durch ihre
prächtige geschmackvolle Installation die Gardner-
Kollektion in Boston, die seit dem Sommer vorigen
Jahres „öffentlich zugänglich" ist, d. h. an be-
stimmten Tagen zu bestimmter Zeit gegen ein
Eintrittsgeld von 4. Mark. Der Hauptwert dieser
Sammlung liegt in ihren Bildern der italienischen
Schule, aber sie enthält daneben Meisterwerke aus
allen Schulen und hervorragende Stücke chinesi-
scher und japanischer Kunst, mittelalterlicher und
Renaissanceplastik. Tizians Raub der Europa, für
Philipp II. gemalt, Raphaels Porträt des schielenden
Kardinals Fedra Inghirami und ein kleines Predellen-
stück aus früher Zeit, Botticellis Madonna aus dem
Palazzo Chigi, Giorgiones kreuztragender Christus
sind allbekannte Bilder, neben denen aber Werke
von Crivelli, Fra Angelico, Fiorenzo di Lorenzo,
Tintoretto u. a. sich fast ebenbürtig halten. Von
Rubens besitzt Mrs. Gardner das herrliche Porträt
des Lord Arundel aus Warwick Castle, von
A. van Dyck ein treffliches Frauenporträt, von
Rembrandt nicht weniger als vier tüchtige sehr
verschiedenartige Bilder, darunter eine der seltenen
Landschaften, von Velazquez einen Philipp IV. in
ganzer Figur, von Hans Holbein zwei grössere
Bildnisse von Sir William Butts und seiner Gemahlin,
von Dürer ein 15 2 1 in den Niederlanden gemaltes
mannliches Porträt. Einige wenige Bilder sind
unwürdig der Sammlung; so der angebliche Se-

bastiane del Piombo, eine Kopie der kolmarer
Madonna Schongauers, eine Kopie der Queen Mary
von A. Moro. Unter den italienischen Skulpturen
ist ein Stück ersten Ranges Benvenuto Cellinis
Bronzebüste des Bindo Altoviti, dessen Ankauf die
italienische Regierung um eine massige Summe
ablehnte. Die übrigen Stücke unter den Namen
von Luca und Andrea della Robbia, Rossellino,
Mino u. s. f. entsprechen aber diesen grossen Namen
nicht; dagegen lässt sich ein namenloses Stück:
die Anbetung des Kindes in bemaltem Thon als
gute Arbeit des Matteo Civitale bestimmen. Ich
habe die Schätze der Gardner-Sammlung hier voll-
ständiger aufgezählt, weil sie in der Lafargeschen
Publikation den grössten Teil des 1. Bandes ein-
nehmen werden.

Pierpont Morgan soll mit seinen Sammlungen
dasselbe vorhaben, wie Mrs. Gardner: sie in einem
besonderen Palast aufzustellen und dann dem Publi-
kum zu öffnen; bisher verhinderte ihn daran die
thörichte amerikanische Einfuhrsteuer auf Kunst-
werke, die ihn bei der Uebersiedelung seiner
Sammlungen nach Amerika die Kleinigkeit von
etwa 6 oder 8 Millionen kosten würde. Bisher hat
übrigens P. Morgan mit wesentlich mehr Glück
ganze Sammlungen der Kleinkunst, von Bronzen,
Miniaturen, illustrierten Büchern als alte Gemälde
erworben. Unter diesen ist der grosse frühe Raphael
des Duca di Ripalta, ein guter van Dyck, einige
gute englische Porträts und namentlich der aus-
gezeichnete Hobbema aus Dorchester House zu
nennen.

In New-York hat sich in den letzten Jahren
namentlich die Galerie von Mr. Henry O. Have-
meyer wesentlich vermehrt, sodass sie an Werken
der holländischen Schule in Amerika unübertroffen
dasteht. Zu ihren 9 Porträts von Rembrandt, 3 Frans
Hals und dem Meisterwerk des P. de Hooch ist
Manches hinzugekommen. Ein ebenso kaufkräftiger
Konkurrent ist ihm in George J. Gould erwachsen,
der namentlich den berühmten „Fahnenträger" Rem-
brandts aus Warwick Castle erworben hat.

Da nur wenige Kunstfreunde des Kontinents
Amerika besuchen und diese selten Gelegenheit
haben, einen Einblick in die dortigen Privatgalerien
zu thun, so wird die grosse Publikation von Lafarge
und Jaccaci gerade für Europa von besonderem Inter-
esse sein und dem Studium der Kunstgeschichte
ein wertvolles Material zuführen.

Wilhelm Bode.

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