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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 15.1935

DOI Heft:
Heft 9 (September 1935)
DOI Artikel:
Koelitz, Hanna: Kostümkunde, [2]: ein Spiegel der Stilwandlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.28171#0206

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Hanna Koelih

Kostumkunöe

Ein ^piegel -er Ltllrvanölungen / Zwelter ^eil

Zas gotische ^ostüm

sl D i c hohc Gotik

/^^rst dic Gotik geht cnergisch ;u ciner völligen Um>
^ , VWf wondlung dcs Rostüms über. In der Zeit, in dcr die
gotischen Dirchen fast jeden Rcst antiken Erbes ab-
tun und dem antiken GIeichgewicht ihre hemmungs-
lose Aufwärtsbewegung entgegenseyen, verliert das antike
Gewand seine Geltung: Die vielfachen Faltcnbrechungen der
umgeschlungenen Stoffe, das treppenförmige Heraufsteigen
der gewickelten Stückc ist diescr Aufwärtsbcwegung des go-
tischen Stils ebenso hinderlich wie das gleichmäßige Herab-
hängen und die streng wagrechte Gürtung der griechischen
Zeit. Die erste Forderung ist ein Schlank- und Engwerden
nach oben. So wird die sackartige Tunika mit den vielen
Falten unter dem Arm, die durch den Rimonoschnitt bedingt
sind, von einem gan; eng anschließenden ivbergewand mit
eingesetzten Ärmeln verdrängt. Die Zeit der größten welt-
abkehr — gleichzeitig aber auch die Zeit des Marienkults
und Minnedienstcs — cntdeckt die Taillc und formt zum
ersten Malc cin Gewand, das die nackte menschliche Figur,
zuerst den nackten menschlichen Gberkörper, nachahmt.
während dic antike Tracht die plastisch hervortretenden
Rundungen dargestellt hattc, und alles übrige im Bausch
der Falten verbarg, stellt das Mittelalter die Einbuchtun-
gen dar, die den Block des meuschlichen Rörpers auflösen
in ein Gefüge von Linien. Die Arme werden auch beini
Gewand ;u den schmalen Streifen, die sie in wirklichkeit
sind. Die engcn Achselhöhlen mit dem knappen Armansatz
schaffen den einfachen Übergang vom Rörper zu den
Armen, der eine Linic von den Fußspitzen ;u den Finger-
spitzen ergibt. während der gricchische Arm sich neben
der Säulenform des Gewands nur dann behaupten konnte,
wenn cr senkrccht vom Rörper weggestreckt war, ist diese
Haltung die einzige, die den gotischen Linienfluß zerstürt,
und die bei den plästiken der gotischen Zeit so vollftändig
vermieden ist, wie jeder rechte winkel.

Dieser knappc Armansay duldet keine Schulterver-
zierung. Er schafft den schrägen Schultcrabfall, der dem
gotiscken Schönhcitsgcfühl darum so sehr entspricht, wejl
er, wie der gotischc Spitzbogen,. die ideale Auflösung jeder
körperlichen Breite in die aufwärtsweisende Senkrechte
darstellt. Die streng wagrechte griechische Schulterlinie
dagegen bedtutet ein klares Gegengewicht gegen das srnk-
rcchte Hochstehen des Rörpers. Dreser Schulterabfall wird
noch tibertrieben durch den Schnitt der Gewänder: Das
Ärmelloch setzt vft nicht jn der natüelichen Schulterlinie
an, sondern jst um ejnige Zentimeter in Vorder- und Rük-
kentril hineingenommen. Dädürch wirken die Schultern so
schmal wie müglich, und die natürliche Armkugel ver-
liert ihre Bedeutung »ls,wagrecht herausragendes Rör.
ErgliedsMMMuch^e-Merleitu^
den Hsis zum Ropf geschaffen. Auch hier ist der rechte

Auch durch die enge Taillenlinie wird der cinfache RÜr-
perumriß durchbrochen und die Festigkeit des Blocks zer-
stört. Dieses Betonen der Taille ist neu. Die Griechen
verdeckten dic Taille durch den Überfall des Peplos wie
durch den Bausch dcr Gürtung und durch die Ärmel-
teile, die von der Schulter herabfielen. Die Römer gingen
weiter. Sie veränderten dic Taille durch die Umwicklung
der Toga bis fast über die Hüftbreite, und auch dic
Romanik läßt den Gedanken an eine engere Rörpermitte
übcrhaupt nicht aufkommen. Die steifen Stoffe stehen starr
und gcrade ab, und die Zierborten werden außerhalb der
Daillenlinie angebracht. Erst die Gotik schafft die Taillc.
Zum ersten Male und zugleich für Iahrhunderte nimmt sie <
nicht nur jeden Lberflüssigen Stoff aus der Taille weg, Z
fondern sie verengt die Taillc künstlich. Sie schneidkt H
den Stofs seitlich auf und schnürt ihn fest über dem Dor.
pcr zusammen. So entsteht bci Männern und Frauen dixH
wespentaille, die als schön empfunden wird, wenn st
nicht ohne Öpfer zu erreichen ist.^ petrarca beklagt
über die Dual des Schnürens.

Im Schnitt wird diese enge Taillc auf verschicdene
Art ecrcicht. Am wichtigsten ist die bekannte scitliche Ein-
buchtung, die heute noch die Schnittform behkrrschtrDVa :
aber zeigt der starke Bogen der gotischen Schnittver-
änderung, daß die Gotik auf etwas anderes hinaus will
als wir. Sie engt die Taille so weit wie mäglich em, Pe D
will die wespentaille, während wir eine verhältnismäßig
dickere Taille brauchen, wcil wir außerdem auch schmale
Hüften wollcn.

Zu dieser ersten Schnittveränderung kommt oft noch
eine Zweite, besonders charakteristische, die nur dic Gotik
kennt: Guer über die Brust herüber wird eine vielfache
geschwungene Teilung vorgenommen, dic für die Frauen-
brust cine Art Beutel schafft, unseren Büstenhaltern ähn-
lich. Daneben gibt es Abnäher vorn in der Mitte herun-
ter und Rleider, die gan; in ein;elne scnkrecht verlaü-
fende Bahnen zerlegt sind, in einer noch vielfältigeren
Teilung als Unsere Schneiderkleider, von denen wir -
meinen, daß sie anliegend seien. Aber in der Gotik liegt
der Stoff am Dberkörper wirklich überall fest an: Die
Antike ist in ihr Gegenteil verkehrt. Heute wollen wir
Rleider, die den ganzen Rörper schmal machen. wir wöl-
len mit dem gotisch-engen Dberteil die griechische Lrust
und die ägyptisch-schmalen Hüften vereinen zu einem fehr
abstrakten Formengemisch, das vor allem negative chigen-
fchasten enthalt und zu den Strichkörpern inancher Film-
ftars geführt kat. Die Mode vergangener Zeiten dagegen
My, daß beim Rostüm ^

ein weitsein ä« anderer S>

Die rnge Taille ma-W Mtel eigentlich Über.
doch DG

wagrecht angelrgk! Auchchjer- DMMeMe Suerteilung
 
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