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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

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der, welchcr einer Venus oder Leda dcn znm Sprechen
ähnlichen Kopf einer Lorette gibt.

Die Gedankenlosigkeit, von welcher ich eben sprach,
und die alle, welche es mit der Knnst ehrlich meinen, tief
beklagen, äußert sich auch in der schlechten Wahl des
Motives. Die alten Männer und alten Frauen im
Kostüm der untersten Stände, die Morgensuppe essend,
Kinder hütend, die Pfeife stopsend, dann wieder einen
Zeisig lockend, strickend, lcsend, könnten Einen zur Ver-
zweiflung bringen, würde man nicht dnrch die Gewohn-
heit abgestumpft. Das Leben ist so vielseitig und wenn
es die Kunst nicht ist, so trägt sie wahrhaft keine Schuld
daran. Vergebens ruft man den Künstlern zu: Greift
nur hinein in's volle Menschenleben — Und wo ihr's
packt, da ist's interessant! Jndem sie nur nach dem Un-
interessantesten nnd Alltäglichsten die Hand ausstrecken,
machen sie deS Dichters Worte zu Schanden. Freilick
kann es nicht anders gehen, wenn der junge Nachwuchs
nur zwei Wege kennt, den in's Atelier und den in die
Kneipe. Das Kneipwesen ist überhaupt eine tiefe
Schattenseite des süddeutschen Volkslebens, indem es den
Mann von der Familie uud vom Umgang mit gebildeten
Frauen ferne hält. Dient es noch übcrdieß dazn, einzelne
Stände kastenmäßig von anderen abzuschließen, so wird
das Uebel durch die damit nothwendig verbundene Ein-
seitigkeit noch größer.

Weu besser als das Genre ist die Landschaftsmalerei
unter den angekansten Gegenständen vertreten. Ein paar
Bilder von Heinlein und von Lier würden in jeder
Galerie ihren Meistern Ehre machen. Auch von Lichten-
held nnd Meixner fand ich tüchtige Arbeiten. Vor-
züglich ist es die Stimmungslandschaft, welche dermal mit
besonderer Vorlicbe kultivirt wird, wie denn mehr Werth
auf die Farbe gelegt zu werden pflegt, als srüher. Er-
frenlich ist, daß auch die älteren Künstler nicht hinter dem
jungen Nachwuchs zurückbeiben, sondern im Gegentheil
der neuen Richtung mit einem Eifer folgen, der um so
mehr Anerkennung vcrdient, als sie mit wenigen Aus-
nahmen seit langcn Jahren ganz anderen Psaden gefclgt
nnd mit dem Alten so zu sagen verwachsen waren. Dieß
gilt namentlich von dem trefslichen Hcinlein, dessen Farbe
früher etwas Konventionelles, fast an die Manier Strei-
fendes hatte, von dem cr sich nun ganz losgesagt hat.

Jm Gebiete der Architekturmalerei machen sich zunächst
tresflicheArbeiten Neher's, Hoff's und Knab's bemerk-
lich. Neher ist wohl ein lebendiger Beweis, daß sorg-
fältigste Durchbildnng nicht, wie man von manchen Seitcn
behanpten hört, die poetische Wirkung beeinträchtige. Jch
kann nicht bestreiten, daß flüchtige Skizzen eines Meisters
in nicht seltenen Fällen den Gcniusdesselbennnmittelbarer
auf nns wirken lasscn als vollendete Gemälde, gleichwohl
aber kann ich mich mit jenem naiven llebermnthe der
Koloritsetigkeit nicht einverstanden erklären, welche die

Aufgabe des Künstlers für gelöst hält, wcnn die Farben
von der Palette nur auf die Leiuwand übergetragen sind,
und die es mit vornehmer Nachlässigkeit dem Publikum
überlassen, sich zur Farbe auch eine beliebige Form zu
suchen.

Jch weiß recht wohl, daß der Münchener Kunstverein
nicht der Standpunkt ist, von welchem aus man einen voll-
ständigen lleberblick über die Münchener Kunst gewinnen
kann, gleichwohl aber ist der Besuch vesselben namentlich
am Schlusse des Vereinsjahres lehrreich genug, weil er
jedenfalls das Fahrwasser kennen lehrt, in welchem dic
jüngeren Talente treiben.

Jm Allgemeinen herrscht in nnsern Künstlerkreisen
eine große Thätigkeit und berechtigt zu dem Schlusse, daß
die Nachfrage eine nicht unbedeutende sein müsse. Jn der
That ist es auch so. Die Verkehrsverhältnisse der Neu-
zeit bleiben nicht ohne wesentlichen Einfluß auf den Absatz.
Allerdings war München nie ein namhafter Markt für
Kunstwerke und wird es voraussichtlich auch nicht werden.
Der Grnnd ist in Verhältnissen zu suchen, welche zu er-
örtern hier zu weit führen würde. Dafür kaufen aber
nordamerikanische Kmisthäiidler oft in einer Woche mehr
als früher in einem halben Jahre gekauft wurde, und unsre
Künstler finden sich recht gut darin, ihre Preise nach
Dollars zu berechnen. Auch Norddeutschland gilt als ein
sehr günstiger Markt für die Münchener Künstler.

Nnr Unkenntniß der Geschichte kann der Annahme zu
Grunde liegen, unsere Zeit sei der Kunst weniger güustig
als frühere. Möglich, daß Letztere einmal irgendwo in
höheren Ehren stand, aber materiell war ihre Stellung
nie so günstig als gerade in unsern, dem Jdealen sonst
nicht sonderlich zugethanen Zeiten. Selbst von dem ver-
schiedenen Werthe des Geldes abgesehe», lassendie heutigen
Preise sür Kunstwerke alle früher bezahlten unendlich weiter
zurück. Rafsael, Rubens, Dürer und Tizian erhielten
auch nicht annähernd solche Preise wie z. B. ein Kaulbach,
und strenge genommen haben unscr äii minormn Aontium
noch weniger llrsache, sich darüber zu beklagen. Ilnzu-
friedenheit ist eben eine allgemein herrschende Krankheit,
die zu tief sitzt, als daß sie sich wegdisputiren und wegde-
monstriren ließe, und welche die besondere Eigenschaft hat,
daß sie da am hartnäckigsten ist, wo der Grund vom
Patienten außer statt in sich gesncht wird.

Anton Seitz hat kürzlich ein Bild vollendet, auf das
München stolz scin darf und das neben den besten Arbeiten
Meissonier's nicht das Mindeste an seinem Wcrthe ver-
lieren würde. Es versetzt den Beschauer in ein düsteres
Gewölbe, in welchem ein jüdischerOuacksalber mit allerlei
geheimuißvollen chemischen Apparaten sein Hocns pocus
treibt, indeß ausgestopfte fremdartige Thiere mit ihren
gläsernen Angen den bäuerlichen Kunden des Charlatans
nicht geringen Schrecken einjagen. Jst das Motiv schon
an sich trefflich, so hat es der wackere Künstler weder an
 
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