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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

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Wislicenus, Hermann: Die Preisbewerbung der Deutschen Goethe-Stiftung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4914#0204

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203

Die Preisbenmtmng der Deutschen Goethe-
Stiftnng.

Ani 28. August d. I. veremigten sich auf Einladung
des Vorstandes der Deutschen Goethe-Stiftung im Großh.
Museum zu Weimar als Preisrichter Prof. Th. Große
aus Dresden, Prof. E. Hähnel aus Dresden, Prof. W.
Lübke aus Stnttgart, Prof. Friedrich Preller aus Weimar
und Prof. I. Zitek aus Prag zur Beurtheilung der auf
Grund des Preisausschreibens vom vorigen Jahre einge-
laufenen Konkurrenz - Entwürfe und erstatteten an die
Generalversammlung der ftimmführenden Vertreter der
Stiftung nachstehendes ^

Gutachten.

„Auf Einladuug des Vorstandes der Deutscheu Goethe-
Stiftung haben die uuterzeichncten Sachverstandigen die für
Ausmalung des Treppenhauses im Großh. Museum einge-
laufenen Konkurrenz - Entwürfe einer eingeheuden Prüfung
unterzogen uud beehren sich, das Ergebniß ihrer Berathungen
in einstimmigem Urtheil nachfolgend vorzulegen.

Von den drei vorliegendm Plänen trägt der erste das
Motto: „8unm eniqns", der zweite: „Am farb'gen Abglanz
haben wir das Leben", der dritte:

„Jhr habt gehört die Kunde
Vom Fräulein, welches tief
Jn eineS Waldes Grunde
Manch hundert Jahre schlief.

Den Namen der Wunderbaren
Erfuhrt ihr aber nie,

Jch hab ihn jüngst erfahren:

Die Deutsche Poesie."

Nr. I. „8nnrn euigns."

Der leitende Gedanke ist: „Die neuere deutsche Literatur
mit denjenigen fremden literarischen Epochen zusammenzu-
stellcn, welche anf ihre Entwickelung von Einfluß waren, und
somit alle zusammen als eine einheitliche Weltliteratur zu
charakterisiren." Auf der einen Seitenwand sind die Griechen
dargcstellt, und zwar das griechische Epos, Homer, veran-
schaulicht durch den Kampf bei den Schiffen; das griechische
Drama, Sophokles, durch eine Scene aus König Oedipus.
Die gegennberliegende Wand ist der germanischen Literatur
gewidinet, das Epos dnrch cine Scene aus den Nibelnngen,
das Drama durch die Schlußscene aus Shakespeare's Hamlet
vertreten. Der Hauptwand gegenüber wird die Literatur
Jtaliens charakerisirt; die antike durch den Untergang von Troja
nach Birgil, die mittelalterliche durch die Eroberung von
Jerusalem uach Tasso. Fnr die Hanptwand selbst, zu beiden
Seiten der Goethe-Statne ist die Schlußscene ans der Braut
von Messina und der Kampf nni Faust's Leiche entworsen.
Jn den Lnnetteu über den drei Thüren sind durch sitzende
Einzelfiguren oder Grnppen, theils historischer, theils allego-
rischer Ärt, die Glanzepochen des thüringischen Stammes an-
gedcutet: die Zeit der Minncsinger, der Reformation nnd der
inodernen Kuust. Nn den sechs Gewölbflächen endlich sind in
je zwei allegorischen Figureu die Entwickelungsphasen der
deutschen Literatnr symbolisirt.

Muß man dem entwersenden Künstler eine große Sicher-
heit, selbst Bravour in kcck hingeworfenen, freilich mebr ange-
tuschten als farbig durchgeführten Darstellungen zugestehen/so
leidet sein Entwurf zunächst an dem Grundgebrechen, daß der
von ihm gcwählte Gedankengang mit der Bestimmung nnd
Bedeutung des Ortes der Darstellungen keinen innerlich noth-
wendigen Zusammenhang hat. Für cin der bildenden Kunst
gewidmeteö Museum eine Darstellung der Entwicklungsmomente
der Weltliteratnr als Ansgangspnnkt zu lvählen, ka'nn an sich
schon nicht als glücklich bezciSniet werden. Aber, selbst wenn
man den Gedanken zulässig finden wollte, würde man doch
wünschen müsscn, daß der Künstler seine Jdee klarer zum
Ausdruck gebracht hätte. Durch die Wahl einzelner, willkür-
lich angenommener Scencn, wenn auch aus cpochemachenden
Schöpsungen dcr größten Dichter, wird weder das Wesen ihrer
Poesie noch gar deren Entwicklungsgang auch nnr annährend
gestreist, nnd das Ergebniß ist nichts andercs, als cine Reihe

von Unglückssccnen voll Blut und Brand, die am wenigsten
geeignet sein dürften, dem Eintretcnden jene weihevolle Stim-
mung mitzutheilen welche ihn schon im Vorraum eines der
Kunst gewidmeten Heiligthums umfangen soll. Dazn kommt,
daß auch in den Luiietten und Bogenfeldern bei ihrer Misch-
ung des Realgeschichtlichen mit dem Symbolisch-allegorischen nnd
bei der geringen Berständlichkeit in der Mehrzahl der hier ge-
wählten Fignren eine gewisse Leere in Gedanken nnd Form
fühlbar wird, die nicht im Stande ist, für den Mangel der
Hauptbilder zn entschädigen.

Aus alledem scheint uns hervorzugehen, daß der Künstler
jene stilvolle Durchbildung vermissen läßt, welche für die
Ausführung monumentaler Arbeiten dieser Art nnerläßlichc
Borbedingung ist.

Nr. II. „Am farb'gen Abglanz haben wir das Leben."
Der Entwurs beabfichtigt, das Treppenhaus des Museums
„zu einem Areopag deutscher Geistesheroen zu gestalten, so-
weit solche für die bildende Kunst oder in derselben thätig ge-
wesen." Zn Wandnachbarn giebt er daher dem großen Dichter
die beiden Kritiker: Winckelmann und Lessing; baran reihen sich
Carstens, der Bahnbrecher der neuen Kunstentwicklung, und
Cornelius, deren mächtigster Borkämpfer. Weiter zurückgreifend
fügt der Künstler die beiden Spitzen der älteren deutschen
Malerei, Dürer nnd Holbein, dazu und schließt endlich mit
Stephan Lochner, dem Meister des Kölner Dombildes, und
Martin Schongauer, als Vertreter der mittelalterlichen Kunst.
Jn den Lunetten hat der Künstler versncht, in freien Arabesken
das Wesen der Kunst überhaupt, sowie dic Richtung jedes
einzelnen Meisters zn charakterisiren, während die Lunetten
über der Nische nnd den drei Thüren in glcicher Behandlung
die Hauptquellen der Knnst: Phantasie, Geschichte, Natur und
Offenbarung enthalten. Ueber Cornelius ist es „der Ge-
danke", als Jüngling mit flammendem Haar von einem Adler
getragen; über Albrecht Dürer „die Arbeit", und zwar Her-
kules, die Himmelskugel auf den Schultern; über Martiu
Schongaucr „die Ritterschaft", als S. Michael, der den Satan
besiegt; über Meister Stephan „die Frömmigkeit", durch sin-
gende nnd inusicirende Engel angedentet; über HanS Holbein
„Leben und Tod", über Carstens endlich „die Schönheit", als
Venus Anadyomene. Den Abschluß bilden die sechs Decken-
felder, die ein Ornamcnt mit Kindergestalten zeigen, Malerei,
Poesie, Musik, Plastik, Baukunst nnd Bühnenkunst versinn-
lichend.

Der Grundgedanke dieses Entwurfes läßt sich im Allge-
meinen als einen für den gcgebenen Ort durchaus angemessenen
bezeichnen. An die den Mittelpunkt des Treppenhauses bildende
Goethestatne anknüpfend, fügt der Künstler in kräftig gemalten
sitzenden Kolossalfiguren diejenigen deutschen Geistesheroen hin-
zn, welche in der ueneren, wie in dcr älteren Zeit auf dem
Gebiete der bildenden Kunst schaffend oder kritisch bahnbrechend
thätig gewesen sind. So glücklich aber der Gedanke an sich
zu neniien ist, so viel Talent und namentlich so intensive Be-
gabung für koloristische Wirknng und für bedeutsame Charak-
teristik dem Künstler, der scine Skizzen in Oel ansgeführt
hat, znzusprechen sind so mangelt seinem Entwurf vor Allem
diejenige architektonisch stilistische Fassnng, welche bei der Aus-
schmücknug eines solchen Raumcs mit Wandbildern erforder-
lich ist. Auch dllrfte die Verbindung von realistisch-historisch
dnrchgeführten Porträtgestalten mit der idealen Goethegruppe
eine Dissonanz in die Wirknng des Ranmcs bringen. Zwar
hat der Künstler in den Lunettcn eine Fülle sinniger Gedanken
und geistreicher Erfindungcn, voll feiner Wechselbeziehungen
mit den Hauptfigureii aiisgebreitet; aber die arabeskenartige
Behandlung ermangelt dcs architektonischen Ernstes um so
mehr, als dieselbe in den übrigen Theilen der Komposition
nichts Entsprechendes findet. Denn die großcn Einzel-Por-
träts machen zu sehr den Eindruck brillant gemalter Staffelei-
bilder, als daß sie mit einem architektonischen Ganzen in
organische Verbindung zu treten vermöchten. Als solche Einzel-
bilder, voll Geist, Kraft und Frische, würdcn sie, lebensgroß
ausgeführt, gewiß ein würdiger Schmuck für eine Gallerie,
oder noch mchr für ein Künstlerhaus sein, wozu wir sie gern
empfehlen möchten.

Nr. III. „Jhr habt gehört die Kunde."

Dcr Künstler dieses Entwurfs benutzt znnächst die Loggien
des Trcppenhanses als Eiuleitung zn dem Cyklus sciner Dar-
stellnngen, indem cr das Märchen vom Dornröschen in vor-
bildlicher Bedentnng in den drei Kuppelmedaillons zur An-
schannng bringt. Jngend, Schlaf nnd Wiedererwecknng
 
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