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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 4.1869

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Mündler, Otto: Die Versteigerung der Galerie Delessert
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https://doi.org/10.11588/diglit.4914#0123

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aus dem Hause Orleans, davon ein Holzschnitt dem 5.
Heft der „Zeitschrift" des lausenden Jahrgangs beigege-
ben ist, und welches bei Gelegenheit der Besprechung des
neuesten Werkes über Raffael, im l l. Heft von 1868,
sich erwähnt findet als ein unbegreiflicher Weise in jenem
Buche im Verzeichniß der raffaelischen Werke übergange-
nes Bild seiner Hand. Es gehört dieses Bildchen, von sel-
tenemReiz und von zarterVollendung bei meisterlicherFrei-
heit der Behandlung, offenbar dem slorentinischen Aufent-
halt des derperuginischen Schule entwachsenen Urbinaten,
und zwar wahrscheinlich dem Jahre 1506 an. Die Schön-
heit der Linien, das Schwungvollc der ganzen Komposition,
der innige Ausdrnck der mütterlichen Theilnahme in der
Jungfrau, der Adel und der Ernst in dem kindlichen Kopf
des Heilands: alles zeigt sehr unverkennbar die hohe Be-
gabung des jugendlichen Meisters, der bestimmt war, alle
Keime, die in der umbrischen Schule schlnmmerten, zn der
reichsten Entfaltung zu bringen. Groß und ungetheilt
war denn auch der Beifall, der diesem Werk zu Theil
wurde, und denen, die dem geistigen Element die erste
Stelle in der Kunst eingeräumt sehen wollen, schien fnr
dieses Mal der Triumph der italienischen Schule eine
ausgemachte Thatsache. Man sprach von hohen Preisen,
die für das Bildchen schon geboten, von noch höhern, die
es in der Versteigernng sicher erreichen würde, man gefiel
sich darin, die Galerien oder die Liebhaber zum Voraus
zu nennen, die sich darum streiten würden, und erwartete
mit Ungeduld den entscheidenden Augenblick. Da aber
zeigte sich wieder einmal das Nutzlose und Eitle solcher
Berechnungen: denn beim Aufgebot des Bildes machte sich
vom ersten Augenblick an eine sichtliche Zögerung, Unent-
schlossenheit nnd KLlte bemerkbar, so daß dasselbe schließ-
lich nnd nicht ohne Mühe den Preis von 150,000 Frcs.
erreichte und dabei stehen blieb: kein verächtlicher Preis,
allerdings, aber doch dem nicht entsprechend, dem man
entgegengesehen hatte. Jn die wahrscheinlichen Ursachen
dieses relativen Mißerfolges eindringen zu wollen, würde
uns viel zu weit führen. Der Hauptgrund liegt wohl
jedenfalls in dem übertriebenen Preise, der als eine aus-
gemachte Sache angenommen war und Manchen veranlaßt
haben mochte, diese Nummer von vornherein von seiner
Liste zu streichen. Was z. B. den Direktor der englischen
Nationalgalerie betrifft, so war er ernstlich ungehalten
über diese „unnatürliche Steigerung der Preise", und
verzichtete zum Boraus auf das von ihm bewunderte
Bildchen, aus Grundsatz und gleichsam als Gegen-
demonstration. Dem Herzog von Aumale, der, wie man
behauptet, einen unbegränzten Auftrag gegeben, scheint
das Bildchen zugefallen zu sein. Der Käufer, wer er auch
sei, darf sich schmeicheln, das verhältnißmäßig billigste
Bild der ganzen Sammlung erworben zu haben.

Unmittelbar anf den Rasfael folgte der A. Cuhp,
eine Gruppe von Kühen anf einem Hügel, cin durch die

warme Beleuchtung bestechendes Bild, aber keineswegs
ein Cuyp vom ersten Range. Jm Nu ging dieses Bild
auf 92,000 Fr. und ward zu diesem gewaltig hohen
Preise zugeschlagen.

Der Erfolg des zweiten Tages übertraf den des
ersten. Nr. 36, das Jnnere einer holländischen Stube
mit vier Fignren, von Peter de Hooghe (möglicher Weise
auch von dem Delft'schen van der Meer, dessen Name
vielfach genannt wurde), ein Bild, das, trotz aller sciner
Vorzüge, Niemand auf die Hälfte des Raffael geschätzt
haben würde, erreichte, Dank der menschlichen Verkehrt-
heit und einer jener unberechenbaren Zufälligkeiten, die
in solchen Versteigerungen immer eine Rolle spielen,
genau den Preis der Madonna aus dem Hause Orleans.
Man hat uns so lange nnd so beharrlich von den Vor-
zügen, ja von der lleberlegenheit des Delft'schen van der
Meer unterhalten, daß dieser liebenswürdige nnd in-
teresfante, aber immerhin nntergeordnete*) Meister in der
Schätzung der Liebhaber zu Peter de Hooghe in ein ähn-
liches Verhältniß getreten ist, wie Hobbema zn Rnysdael,
Hobbema, dem jedoch von einsichtsvolleren Liebhabern
noch immer keineswegs ein unbedingter Vorzng vor dem
unerreichbaren Rnysdael eingeränmt wird- So viel aber
ist gewiß, daß die über Nr. 36 geäußerten Zweifel dem
Bilde so wenig Schaden thaten, daß dasselbe, wo nicht
wegen, doch trotzdem den unsinnigen Preis von
150,000Fr.erreichte. DerunbcstrittenePeterdeHooghe,
ein holländisches Wohnhaus mit Hof und Garten, ein
vortreffliches Bild, wnrde dagegen für 42,000 Fr. zu-
gcschlagen. — Den höchsten Triumph aber feierte David
Teniers, dessen Fischmarkt, allerdings ein vortreffliches
Bild, ohne jedoch zn seinen Meisterwerken zu gehören,
auf die unerhörte Summe von 159,000 Frs. gesteigert
wurde. Die Anhänger der flandrischen Schule und des
Realismus, die Apostel des Erfolges jubelten: Teniers
hat Raffael geschlagen! Peinlich berührt dagegen war
man in dem Lager derer, die den Cultus des Jdeals fest-
halten; denn wenn auch selbstverständlich ein solcher
Erfolg ohnehin nicht das Mindeste beweist, so ist er doch
ein unverkennbares Zeichen der Richtung, nach der die
Geister sich bewegen auf allen Gebieten des Lebens, und
ganz im Stillen muß man sich doch gestehen: ja, das
Edle läßt die Mehrzahl kalt, das Jdeal ist gering ge-
schätzt, wo nicht gar verpönt, das Gemeine aber, von der
Mode in Schutz genommen, ist an der Tagesordnnng.

Wo einmal die Stimmung so hinaufgeschraubt ist,
daß solche Preise bezahlt werdeu, da kommt jeder einzelnen
Nummer die Uebertreibung zu Gute, nnd jedes, auch das
Unbedeutendste, nimmt Theil an der Gunst, in der das
Ganze steht. Der Name des Besitzers wird dann zum

*) Das ist nuu doch wohl wieder uach der anderu Seite
hin cin zu starker AuSdruck. U. d. Red.
 
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