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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 18.1883

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Lübke, W.: Gottfried Kinkel
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https://doi.org/10.11588/diglit.5806#0093

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181

Gottfried Kinkel s.

und deshalb leuchtet ihr Bild uns auf Schritt und Tritt
in diesem Dichterleben entgegen, und er sclbst sagt in
seinen herzenswarmen Versen:

„Und führe heut ein Blitz hernieder

Zerschellend diese nero'gen Glieder —

Jm Schmerz des Abschieds sagü ich's dir:

Kein Sterblicher auf grüner Erden

Mag froher seines Lebens lverden,

Und all dies Gliick — Du gabst es mir."

Sah man die hohe schlanke Erscheinung mit dem aus-
drucksvollcn, edelgezeichncten, von schwarzen Locken um-
wallten und Vvn dunklem Barte eingerahmten Kopfe,
am Arm die zarte Frauengestalt, dnrch die Poppels-
dorfer Allee zur Stadt hinschreiten, so hatte man den
Eindruck eincs innig verbundenen geistigen Doppelwesens,
wie das Lebcn es nur selten zusammenfiihrt. Auch als
Lehrer wirkten beide in völlig gleichem harmonischen Sinn,
sie im Reiche der Töne, er im weiten Gebiete der bil-
denden Künste und der Poesis das Edelste pflegcnd,
zum Höchsten anregend. Kinkel trug nicht blos an der
Universität, sondern auch vor weitern Kreisen des ge-
bildetcn Pnbliknms übcr Kunstgescknchte nnd Litteratur
vor. Jch entsinne mich noch gut, tvie zündend seinc Vvr-
lesungcn iiber die niederländische Kunst und die Vorträge
iiber Shakespeare uns Jllngere bewegten. Er zuerst
weckte in uns den Sinn für das Schöne, indem er es
in seiner historischcn Entfaltung darlegte: er öffnctc uns
den Blick fiir die alten Denkmäler am Rhein, und von
da ab bcgannen, sei es nnter seiner belehrendcn Führung,
sei cs in cigenen Versuchcn, die Wanderungcn rhein-
auf- nnd abwärts und landein bis nach Belgien, mit
welchen wir unsere knnstgeschichtlichen Studienfahrten
anfingen.

Kinkel war als Docent von der seltensten Begabung,
von hinreißender Gewalt, der man sich nicht entziehen
konnte. Wenn die edle Gcstalt Vvr uns hintrat nnd
uns in den Bann ihrer blitzenden Augen und der wohl-
klingenden, jeder Nüance fähigen Stimme zog, wenn er
in höchster Formvvllendung seine klaren Perioden vor
uns ausgoß, wie ein breit und ruhig dahinziehender
Strom, so fühlten wir uns alle gesangen. Bor alleni
besaß er das wichtigste Gcheimnis, nicht zu ermüden,
sondern stets sesselnd weiter zu führen und im richtigen
Angenblick abzuschließen. Denn solche Vorträge sollen
vor allem anregen, sie müssen das geben, was nicht in
Büchern zu lesen steht, sondern was nur die lebendige
Rede zu geben vermag; wer an solcher Stelle einen
Gegenstand erschöpfen will, der erschöpft nur die Geduld
des Hörers, dcr das Ganze eincs jeden Stoffes bis in
die winzigsten Einzelheiten hinein besser in weitläufigen
Handbüchern studiren wird. Wvhl war in seinen Vor-
trägen ein rhetorisches Elemcnt zu spüren, das die Wir-
kung des persönlichen Austretens mit in Rechnung zog;

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aber dies alles war zu eincr solchen wahrhaft künstle-
rischen und harmonischen Wirkung verbunden, daß er
bis in seine letzten Lebenstage einer der anregendsten,
fesselndsten Lehrer blieb.

Was er so in lebendiger Rede ausstreute, das suchte
er nnn auch für die weitcstcn Krcise zngänglich zu
machen So entstand seine „Geschichte der bildenden
Künste bei den christlichen Völkern, vom Anfang unserer
Zeitrechnung bis zur Gegenwart." Die erste Abteilung,
Welche auf fünfzehn Druckbogen die alte christliche Kunst
behandelt, trat 1845 ans Licht. Eine Anzahl lithogra-
phirter Tafeln von anspruchsloser Gestalt war bestimmt,
die unerlüßliche Anschauung zu vcrniitteln. Es versteht
sich, daß diese Darstellung im einzelnen längst durch die
epocheniachenden Entdeckungen eines Menschenalters,
namcntlich durch de Rossi's glänzende Untersuchungcn
überholt sind; trvtzdem bieten sie dem Leser immer nvch
hohen Genuß durch die fesselnden Schilderungen und
die künstlerische Formvollendung des Ganzen. Kinkel
gehörte zu der kleinen erlesenen Zahl der Hochbegabten,
welchen soivohl die Gewalt der Rede als der Borzug
lichtvoller schristlicher Darstellung verliehen ward. So
ivirkt denn in seinen litterarischen Arbeiten die anregende
Eigenart dcs Redners nach, und man fühlt, daß man
cs mit einem Schriftsteller zu thun hat, der mit voller
Bcherrschung des Matcrials dic Gabe fesselnder Schil-
derung vereint. Seincni Plane nach sollte dies Buch
die Mitte halten zwischen der registermäßigen Trockenheit
des Kuglerschen Handbuches und der kulturhistorischen
Breite des Schnaaseschen Wcrkes. Und glänzcnden Be-
Weis für die Frische, mit welcher damals die Kunstge-
schichte betrieben ward, legt wohl der Umstand ab, daß
drei solcher zusammenfassenden Geschichtsdarstellungen
innerhalb dcsselben Lnstrums hervortraten.

Aber die schön begonncne Arbeit sollte nicht zum
Abschluß kommen. Die politischcn Stürnie ergriffen auch
das stille Bonn, pochtcn niit Macht an dic Stndierstube
des Gelehrten und Dichters und riefen ihn zum Kamps
für Freiheit und VoUesrechte auf. Mit einem Schlage
war daS poetisch-künstlerische Leben abgebrvchen, und die
revolutionäre Bewegung riß den erregbaren Dichter auf
ihren Wogen mit sich fort. Schon vor dem Jahre acht-
undvierzig hatte auch in den Universitätskreisen die
Schleswigholsteinschc Frage die Geniüter aus der fricd-
lichen Stille aufgerüttelt; zahlreiche Schleswigholsteiner,
die in Bonn studirten und zu den Tüchtigsten, Gesinnungs-
vollstcn untcr der akademischen Jugend zähltcn, hatten
in unseren Versammlungen das patriotische Feuer geschürt,
nnd als der „Offcne Brief" Christians VIII. die alte
Zusammengchörigkeit der beiden Länder antastete, schlug
auch dvrt die Empörung über die Schmach, wclche dem
ohmnächtigen deutschen Baterlande zugemutet wurde, in
helle Flanimen aus. Alle jene wackeren Jünglinge
 
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