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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 19.1884

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Pabst, Arthur: Die historische Goldschmiede-Ausstellung in Budapest
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https://doi.org/10.11588/diglit.5805#0290

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Die historische Goldschnnede-Ausstellung in Budapest.

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in uilunterbrvchener Folge biese Technik verfolgen.
Zwei Richtungen treten ziemlich erkennbnr auf, beren
zweite bald verschwindet: die erste, mit orientalisiren-
den Mustern, streng stilisirten Pflanzenornamenten,
drängt die zweite, welche sich an die gotischen Fornien
anlehnt, mit dem Versall der Gotik zurück und
herrscht bis in unsere Tage. Die überaus große
Mannigfaltigkeit der Muster ist in der Technik be-
gründet: es sind eben unzählige Kombinationen mög-
lich; die Wirkung der Arbeiten ist oft überraschend
schön und dürfte sich wohl auch für andere Zwecke
empsehlen. Sehr lange hat sich auch die Kunst des
Niellirens in Ungarn gehalten, der man vielfach be-
gegncte.

Neben den besonderen Techniken fanden sich anch
gewisse spezisisch ungarische Gefäßfornien: die sog.
Schweißtropfenbecher: Trinkgefäße in Form eines um-
gekehrten abgestumpften Kegels, mit nach innen ge-
triebenen, wohl auch bloß gravirten (Schweiß-chropsen-
sörmigen Punkten besetzt; Schvpfgefäße, muschelsörmig,
vorn mit einem Sieb, um aus Waldquellen zn schöpfen
und die Unreinigkeiten des Wassers beim Trinken zurück-
zuhalten. Spezifisch siebenbürgisch sind Sätze von
Bechern und sechseckigen Tellern, für Gelage im Freien
bestimmt u. a. m. Das häufige Vorkommen der auch
anderwärts beknnnten gotischen Becherform: umgekehr-
ter abgestumpfter Kegel auf drei Tiergestalten (meist
Hirschen) ruhend, mil aufgelegtem ornamentalen Quer-
band in der Mitte, erklärt sich woht weniger durch
besondere Vorliebe für diese Form als durch die lange
Dauer der Gotik in Ungarn.

Die nationalen Techniken und Formen waren sür
alle iliicht-Ungarn von höchstem Jnteresse, wurden je-
doch, das kaun man wohl behanpten, durch die Fülle
des übrigen Materials fast in den Schatten ge-
stellt. Jedermann hatte erwartet auf der Ausstellung
mancherlei Nenes zu findeu, spezifisch Ungarischcs in
Technik und Form. Daß aber ein Land, über welches
Jahrhunderte lang die Stürme der Türkenkriege hin-
wcggezvgen, in dem ganze Gegenden verwilstct worden,
noch Schätze birgt, wie sie hier ans Licht gezvgen sind,
das hat man vielleicht in Ungarn selbst nicht geahnt.
Die Kirchenschätze des Kvnigreichs waren wohl den
einheimischen Kunstfreunden bekannt: sie alle haben
beigesteucrt, anßer dem Graner Dome, dessen Kal-
varienberg des Königs Matthias Corvinus, vielleicht
das schvnste Werk italienischer Goldschmiedekunst, der
Glanzpunkt der Ausstellung gewesen sein würde. Als
mehr oder Iveniger unbekannt dagegen darf man die
Schatzkammern der ungarischen Großen und Sammler
ansehen, die geradezu unglaubliche Mengen edelster
Goldschmiedewerke enthalten.

Die Ansstellung war in fünf Sälen geschmackvoll
und übersichtlich aufgestellt: der erste Saal enthielt die
Prähistorischen Funde, Arbeiten der Römer und der
Zeit der Völkerwanderung. Hier ragen unter deni
massenhaften Material vor allem einige überaus feine
römische Silberschalen hervor, würdig, dem Fund von
Hildesheim an die Seite gestellt zu werden, ein prächliger
silbernerDreifuß, endlich die griechisch-ägpptischeBronze-
kanne mit Gold- und Silbertauschirung, ein einzig da-
stehendes Stück hellenischer Kunst. Aus späterer Zeit
ist der berühmte Fund von Nagy-Szent-Miklos zu
nennen, wahrscheinlich sassanidischer Herkunst, und eine
grvße Gruppe der heute sog. Verroterie-Technik.

Der zweiteSaal enthielt das Kirchengerät, darunter
einen kolossalcn Schrank, gefüllt mit den oben be-
handeltcn Kelchen mit Filigranemail und verwandten
Arbeiten, als Monstranzen, Bischofstäben rc. Die Reihe
mittelalterlicher Kirchengeräte war im Verhältnis nicht
so groß: hier haben die Türkenkriege viel vernichtet.
Trotzdem befanden sich manche ganz vorzügliche und
seltene Stücke darunter. Es ist unmöglich, auf die
Aufzählung auch nur der bedeulendsten Stücke hier
näher einzugehen: ich muß mir das für die Besprechung
des vorbereiteten großen Prachtwerkes über die Aus-
stellnng vorbehalten.*) Wenn hier und da ein Stück
besonders hervorgehoben wird, sv ist es immer nur als
ein Prachtstllck unter vielen anzusehen, die hier über-
gangen werden müssen. An ganz frühen Arbeiken
ragten einige Aqnamanilien hervor, darunter eines in
Gestalt eines Kentauren; ein byzantinisches Triptychon
öumil okiLMyIsvö in Silber mit dem Kruzifixuö,
Maria und Johannes, letzterer von nahezu klassischer
Schönheit. Ein Schrank mit Geräten für den Kultus
der vrthoboxen Kirchc: Brotschränken, Fächern, Kreuzen,
ließ die strengen, auf alten Traditionen beruhenden
Formen dieser Kunst in vortrefflicher Weise erkennen.
llnter ciner Anzahl Arbeiten mit translucidcm Emait
ragt ein hohes Alta-rkreuz hervor, Pollajuolo zuge-
schrieben, sicher aber ein Werk der sienesischen Gvld-
schmiedeschule vom Ende des 15. Jahrhunderts. Auch
ein Florentiner Kreuz mit Niellv aus gleicher Zcit
würde in jedem Museum unter den Prachtstücken
rangiren. Unvergleichlich schön ist der Kelch von Neu-
tra, Gold mit translucidem Email, ein Werk der
Rudolfinischen Zeit, zwei kleine Altäre mit emaitlir-
ten Goldfignren, wohl Mllnchener Arbeiten, vcrwandt
denen der reichen Kapelle. Unter späteren Werken
ist besonders interessant eine Pax von Ebenholz

*) Es wäre sehr wünschenswert, in diesem Prachtwerke
genaue Angaben über die Nationalität der Goldschmiede und
der sonstigen Arbeiter zu erhalten. Unseres Wissens war von
jeher alle bürgerliche Thatigkeit und so auch das Gewerbe
in Ungarn ausschließlich deutsch. Anm. d. Red.
 
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