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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 26.1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.6190#0023

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27

Sammlungen — Literatur

28

Donna Isabella in Schillers Don Carlos dargestellt ist. Die
Ausstellung des letzteren Werkes ist von besonderem Inter-
esse, weil das Bild zu den Frühwerken gehört und noch
nichts von der späteren Farbigkeit Böcklinscher Koloristik
zeigt. Ein neutraler Gesamtton herrscht vor, aus dem aber
die einzelnen breit angelegten, obschon gebrochenen Farb-
werte warm hervorleuchten. Es ist »unfertig«. Betrachtet
man die Hände, so findet man sie vielleicht nicht aus-
geführt. Aber wieviel Ausdruck spricht nicht aus ihrer
Haltung! Etwas Schwebendes, fast Gekränktes liegt in
den Augen — wie in dem unbestimmten Tasten der
Hände —, aber die feste Form des Mundes, wie die
Haltung und leichte Wendung des Körpers verraten frauen-
haften Stolz. Das Gewand, ein tiefes Schwarzblau, oben
in ein wärmeres Schwarzgrün der Spitzen übergehend,
trägt den Hauptton des Bildes und steht in feinem Kontrast
zu dem lichten Inkarnat. Der schwarze Schleier, der die
Arme deckt, führt dieses Spiel weiter. Das bleiche Gold
um das Gelenk der linken Hand und das blasse Rot der
Kamelienblüten links der Säule sind die einzig lebhafteren
Farben in den gedämpften großen Flächen. Während des
für ihn an Ehren reichen, aber Böcklin nicht selbst be-
friedigenden Aufenthaltes in Weimar 1860/62 wurde das
Bild gemalt, gleichzeitig mit jenem Porträt, das die Galerie
in der Sammlung Koenig aus dieser Zeit besitzt: dem
Bildnis des Kammersängers Wallenreiter. Beide Dar-
gestellten, die die Bilder als Geschenk erhielten, gehörten
damals zu den wenigen Freunden Böcklins in Weimar.
Welche Wendung indes die Kunst Böcklins durch seine
Flucht nach Italien nahm, ist erstaunlich zu sehen: viel-
leicht das kostbarste Bild der Sammlung, das Porträt der
Frau Böcklin (»in Weihrauch und Wachs«), entstand fast
unmittelbar nach dem Weimarer Bild. Die kleine in der
Kostbarkeit ihrer emaillegleichen Technik wertvolle Farb-
skizze zur »Pietä« erhält ihr besonderes Interesse bei einem
Vergleich mit dem gleichnamigen Bilde. Die Absicht des
Künstlers wird deutlicher erkennbar, man vermag ihn
gleichsam bei der Arbeit zu belauschen. Hier gab im
Gegensatz zu den meisten anderen klassisch gewordenen
Bildern Böcklins ein musikalisches die Grundkonzeption:
»Der Kampf des Zwielichtes« : die Unentschiedenheit
zwischen Schmerz und Trost. Ein tiefes, erstorbenes
Violett, darüber ein Licht, kein leuchtendes, nur ein lange
nachglühendes Rot, von dem man nicht weiß, ob es
kommt, oder ob es vergeht; hier bei der Pietä: die Ver-
zweiflung, fast Wollust tiefsten Schmerzes und hoffnungs-
losen Kampfes, denen Trost und Stillung erst durch die
Erschöpfung und die Ruhe des Todes wird. Ein Gang
durch die abendlichen Straßen bei Santa Maria Maggiore
in Rom mit Rudolf Schick, das Spiel der letzten Tages-
lichter oben an den Häusern über den dunklen Straßen
vor dem Hereinbrechen der Nacht, der matte Schein der
schon erleuchteten Fenster riefen ihm die Klänge von
Allegris »Miserere« in die Erinnerung und gaben ihm den
Anlaß zu dem Bilde. Die ersten Entwürfe stellten den
Vorgang im Innern einer Kirche dar; Schick spricht von
dem »Motiv verlöschender Lampen«. Die Anordnung der
Farben ist in der Skizze wesentlich die gleiche wie im
Gemälde. Auf der Skizze wurde der Mantel der Mutter
nur wärmer gehalten, er hebt sich von den kalten Tönen
des Leichnams und dem Violett der Dämmerung leicht ab,
der Marmor ist weißer, das Licht der Wolken kühler. Im
Gemälde dagegen wird die Mutter farbig mit dem Toten
und der Umgebung zusammengezogen, die Engel und die
Wolken sind in einem stärkeren Ton gehalten und er-
scheinen dadurch näher, die Gesamtwirkung gedrückter
und schwerer. Das Bild wurde 1872/73 nach der Rückkehr
ausJHtalien^lin[München ausgeführt. Die Skizze stammt

noch aus Italien, wahrscheinlich aus dem Jahre 1868, sie
wurde 1873 oder 1874 von Böcklin selbst an eine be-
freundete Dame verschenkt. Zu genau der Zeit wie jene
in München ausgeführte Pietä entstand dort die dritte der
Leihgaben — merkwürdig für das weit umfassende Wesen
des Künstlers wie für das Nebeneinander der ihn be-
schäftigenden Probleme, aber auch für die Ungleichheit
seiner Werke in künstlerischer Hinsicht: das anmutig-
ausgelassene und so duftig gemalte »Altrömische Maifest«.
Fast ein Watteau, wenn man die Stärke Böcklins nicht
dahinter empfände: blühendes Gebüsch im Dämmer eines
kleines Tales, Flieder und andere Bäume, dahinter ver-
borgen ein kleiner Tempel; violetter Rauch, der wie Nebel
sich in den Bäumen fängt, kündet das Opfer. Vorn tanzt
um eine Bildsäule satirhaft ein Campagnole mit den
Mädchen; Paare wandeln längs der Böschung der Höhen.
Das Bild mutet fast impressionistisch an. Das unbestimm-
bare Grün und Braun von Gestrüpp und Schlucht wird
nur hier und da überhellt von lichteren Tönen. Ein
leuchtendes Rot im Vordergrund und Blau in kleinen
Flecken — oben in der Stufung bis zum Weiß des Him-
mels — die Gewänder der Feiernden geben dem Bilde
die ausgelassene Heiterkeit eines antiken Festes.

SAMMLUNGEN
* Die kgl. Kunstsammlungen in Dresden mußten
nach Ausbruch des Krieges einige Zeit geschlossen werden,
weil eine größere Anzahl der Angestellten zum Heer ein-
gezogen wurden. Besonders hart war die Gemäldegalerie
getroffen, weil sowohl der Direktor Dr. Posse wie sein
Direktorialassistent Dr.Winkler beim Heer eintreffen mußten.
Neuerdings aber hat die Generaldirektion der kgl. Samm-
lungen es ermöglicht, daß die Gemäldegalerie, das Kupfer-
stichkabinett und die Skulpturensammlungen wieder den
Besuchern offen stehen.

Im Metropolitan Museum in New York sind, seit
sich dort die Sammlung Pierpont Morgan befindet, be-
sondere Maßnahmen gegen Diebe und Feuer getroffen
worden. Die bedeutendsten Stücke sind mittels elektrischen
Läutewerkes gegen Berührung geschützt. Fünfzig Wächter
mit Revolvern gehen Tag und Nacht in den Räumen auf
und ab. Zwei bis dreimal wöchentlich wird plötzlich alar-
miert; zur Übung! Überdies ist das Museum durch be-
sondere Fernsprechleitungen mit der Polizei und der
Feuerwehr verbunden.

LITERATUR

Tietze, Hans, Die Methode der Kunstgeschichte. Ein Ver-
such. SS. XII u. 489. Leipzig 1913, E. A. Seemann.
M. 12.—, geb. M. 15.—.x)
Es ist mir eine Freude und eine Ehre zugleich, hier
ein Buch anzeigen zu dürfen, das, wie ich glaube, einen
bedeutungsvollen Abschnitt in der Geschichte der Kunst-
geschichte bezeichnet: bedeutungsvoll für die Vergangen-
heit, für die es — zum erstenmal — eine kritische Zu-
sammenfassung des bisher Getanen gibt, bedeutungsvoller
für die Zukunft, der es die grundlegenden Richtlinien vor-
zuzeichnen versucht. Es ist ein Buch der Selbstbesinnung
unserer Zeit, an dem kein Forscher, dem es mit seiner
Wissenschaft ernst ist, wird vorbeigehen dürfen. Es ist
bezeichnend, daß ein solches Buch gerade jetzt geschrieben
wurde, an einem Wendepunkte unserer ganzen geistigen
Kultur, die sich vom bequemen sorglosen »Impressionismus«

1) Vergl. auch Kunstchronik Nr. 42 des vorigen Jahrgangs.
Wir bringen hiermit, da uns gleichzeitig zwei Besprechungen
des bedeutenden Buches zugingen, auch diese zweite.
 
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