Zu Hermann Voß: »Bernini als Architekt an der Scala Regia«
601
fiützt auf einen fo ausführlichen Bericht
eines fachmännifch gebildeten Augenzeugen
— die von Voß angeführten Gegengründe,
infonderheit das Zeugnis der alten Auf«
nahmepläne, nicht genügend beachtet hat.
Ja, man darf fagen, daß es fo, wie die Sache
gegenwärtig fteht, bei dem »belcheidenen
Non liquet« fein Bewenden behalten müßte.
Denn wenn ein fo gewichtiger Zeuge wie
Fontana fich geirrt haben kann, fo können
audi die alten Pläne in einer Vergleichs«
weife unbedeutenden Einzelheit unge«
nau fein <daß dies an einer andern Stelle,
wo es fich ebenfalls um eine Richtungs«
frage handelt, tatfächlich der Fall ilt, hat
Voß ja felber fefigeltellt)1), und der von
Voß herangezogene Bericht des Bonanni
<1696) erweift fich bei näherem Zufehen
ais von Fontanas Darltellung abhängig2)
und läßt im übrigen durchaus die Mög«
lichkeit zu, die darin erwähnten »novi
parietes« nicht fowohl im Sinne einer
neuen Seiten wand, als vielmehr im Sinn
eines Erfatzes für die fchadhaften Quer«
wände zu interpretieren.
*
Gleichwohl bin ich aus einem ganz be«
Itimmten Grunde zu der Überzeugung ge«
langt, daß Voß mit feiner Thefe im Rechte ilt
— ausdem Grunde nämlich, weil Berninis
Sohn Domenico in einer bisher fowohl
von mir, als augenfcheinlich auch von Voß
überfehenen Stelle den Sachverhalt ganz un«
zweideutig klargeftellt hat: »Poiche reggen-
dosi gran parte della Regia Sala, e la Cap-
pella Paolina medesima sopra i muri di
gulla Scala, gli convenne per allargar
questa, gittar quegli a terra, e sos«
tener sopra puntelli tutti que' grandi Edi«
ficii« 3>. Zudeutith: »Denn da ein großer
Teil der Scala Regia fowie die Cappella
Paolina auf den Mauern jener Treppe
ruhte, mußte er, um diefe zu ver«
breitem, jene niederreißen, und all
die großen Baulichkeiten durch Pfahlrolte
abltützen«.
Damit ilt in der Tat der Sachverhalt im
Sinn der Voffifchen Behauptung aufgeklärt,
und man muß lieh damit abfinden, die dem
entgegenftehende Auslage Carlo Fontanas
aus einem Gedächtnisfehler oder wie immer
man fonfi will, zu erklären. Allein — und
darauf möchte ich mit befonderem Nach«
druck hinweifen — die eigentlich kunft*
hiftorilche Bedeutung des von Bernini vor-
genommenen Umbaus, fo wie ich lie in
meinem Auffatz darzultellen fuchte, wird
durch diefe Entfcheidung der Wandver*
legungsfrage in keiner Weife berührt — ja
gerade die Tatfache, daß Bernini felblt »per
necessitä«, die Konvergenz der Mauern
angeordnet hat, Icheint die von mir ver«
tretene Thefe in merkwürdiger Weife zu
beftätigen. Meine Behauptung ging dahin,
daß die von Bernini angeordneten Säulen«
Heilungen ihrer künftlerifehen Abficht nach4)
1> A. a. O. S. 16, Anm. 2.
2) Es ilt nicht möglich, hier die zahlreichen wörtlichen Qbereinftimmungen zwilchen Bo*
nanni und Fontana anzuführen. Es genüge der Vergleich der Einleitungsfätze:
»Erat enim in partes geminas divisa,
quarum aftera pßus quam irecentis pafmis
prote ns a fumine ex eins fronte irradiante,
adeo erat oßscura, ut proptera Summi Pon«
tifices, cum e PaCatio in tempßum seffa ge-
statoria deveßerentur, ac Purpuratorum
Comitentium Coetus teneßricosum transi«
tum exßorrescerenH <Bonanni).
»in partes geminas divisa, quarum altera plu«
rimis gradibus scansilis et ad 300 palmos pro-
ducta <im italienifchenText: piii cf/300palmi!)
multum evasit tenebricosa, quippe lumine per
frontem affulgente . . . contenebrescebat.
Propterea Summi Pontifices, cum Sedili
paulo sublimiore ex Palatio in Templum de«
veherentur, adeo longam obscuramque gra«
duum seriem exhorrescebant. Quamobrem
Pontificis haud videbatur decere dignitatem,
ut ad Sollemnia concedens cum lliustri Pur-
puratorum comitatu locum tenebris horri«
diorem permearet« <Fontana>.
3) Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo Bernini, Rom, 1713, S. 101.
4> Daß diefe künftlerilche Abficht fehr wohl mit einer itruktiven Hand in Hand gehen
konnte (wie das fowohl von Domenico Bernini als von Fontana ausdrücklich betont wird),
ilt felbltverltändlich — nur berechtigt nichts zu der Annahme, daß die letztere die maßgebendere
gewefen fei: die gleiche Stützfunktion hätte ja auch durch eine künitlerilch ganz anders wir-
kende Anordnung erreicht werden können.
601
fiützt auf einen fo ausführlichen Bericht
eines fachmännifch gebildeten Augenzeugen
— die von Voß angeführten Gegengründe,
infonderheit das Zeugnis der alten Auf«
nahmepläne, nicht genügend beachtet hat.
Ja, man darf fagen, daß es fo, wie die Sache
gegenwärtig fteht, bei dem »belcheidenen
Non liquet« fein Bewenden behalten müßte.
Denn wenn ein fo gewichtiger Zeuge wie
Fontana fich geirrt haben kann, fo können
audi die alten Pläne in einer Vergleichs«
weife unbedeutenden Einzelheit unge«
nau fein <daß dies an einer andern Stelle,
wo es fich ebenfalls um eine Richtungs«
frage handelt, tatfächlich der Fall ilt, hat
Voß ja felber fefigeltellt)1), und der von
Voß herangezogene Bericht des Bonanni
<1696) erweift fich bei näherem Zufehen
ais von Fontanas Darltellung abhängig2)
und läßt im übrigen durchaus die Mög«
lichkeit zu, die darin erwähnten »novi
parietes« nicht fowohl im Sinne einer
neuen Seiten wand, als vielmehr im Sinn
eines Erfatzes für die fchadhaften Quer«
wände zu interpretieren.
*
Gleichwohl bin ich aus einem ganz be«
Itimmten Grunde zu der Überzeugung ge«
langt, daß Voß mit feiner Thefe im Rechte ilt
— ausdem Grunde nämlich, weil Berninis
Sohn Domenico in einer bisher fowohl
von mir, als augenfcheinlich auch von Voß
überfehenen Stelle den Sachverhalt ganz un«
zweideutig klargeftellt hat: »Poiche reggen-
dosi gran parte della Regia Sala, e la Cap-
pella Paolina medesima sopra i muri di
gulla Scala, gli convenne per allargar
questa, gittar quegli a terra, e sos«
tener sopra puntelli tutti que' grandi Edi«
ficii« 3>. Zudeutith: »Denn da ein großer
Teil der Scala Regia fowie die Cappella
Paolina auf den Mauern jener Treppe
ruhte, mußte er, um diefe zu ver«
breitem, jene niederreißen, und all
die großen Baulichkeiten durch Pfahlrolte
abltützen«.
Damit ilt in der Tat der Sachverhalt im
Sinn der Voffifchen Behauptung aufgeklärt,
und man muß lieh damit abfinden, die dem
entgegenftehende Auslage Carlo Fontanas
aus einem Gedächtnisfehler oder wie immer
man fonfi will, zu erklären. Allein — und
darauf möchte ich mit befonderem Nach«
druck hinweifen — die eigentlich kunft*
hiftorilche Bedeutung des von Bernini vor-
genommenen Umbaus, fo wie ich lie in
meinem Auffatz darzultellen fuchte, wird
durch diefe Entfcheidung der Wandver*
legungsfrage in keiner Weife berührt — ja
gerade die Tatfache, daß Bernini felblt »per
necessitä«, die Konvergenz der Mauern
angeordnet hat, Icheint die von mir ver«
tretene Thefe in merkwürdiger Weife zu
beftätigen. Meine Behauptung ging dahin,
daß die von Bernini angeordneten Säulen«
Heilungen ihrer künftlerifehen Abficht nach4)
1> A. a. O. S. 16, Anm. 2.
2) Es ilt nicht möglich, hier die zahlreichen wörtlichen Qbereinftimmungen zwilchen Bo*
nanni und Fontana anzuführen. Es genüge der Vergleich der Einleitungsfätze:
»Erat enim in partes geminas divisa,
quarum aftera pßus quam irecentis pafmis
prote ns a fumine ex eins fronte irradiante,
adeo erat oßscura, ut proptera Summi Pon«
tifices, cum e PaCatio in tempßum seffa ge-
statoria deveßerentur, ac Purpuratorum
Comitentium Coetus teneßricosum transi«
tum exßorrescerenH <Bonanni).
»in partes geminas divisa, quarum altera plu«
rimis gradibus scansilis et ad 300 palmos pro-
ducta <im italienifchenText: piii cf/300palmi!)
multum evasit tenebricosa, quippe lumine per
frontem affulgente . . . contenebrescebat.
Propterea Summi Pontifices, cum Sedili
paulo sublimiore ex Palatio in Templum de«
veherentur, adeo longam obscuramque gra«
duum seriem exhorrescebant. Quamobrem
Pontificis haud videbatur decere dignitatem,
ut ad Sollemnia concedens cum lliustri Pur-
puratorum comitatu locum tenebris horri«
diorem permearet« <Fontana>.
3) Vita del Cavaliere Gio. Lorenzo Bernini, Rom, 1713, S. 101.
4> Daß diefe künftlerilche Abficht fehr wohl mit einer itruktiven Hand in Hand gehen
konnte (wie das fowohl von Domenico Bernini als von Fontana ausdrücklich betont wird),
ilt felbltverltändlich — nur berechtigt nichts zu der Annahme, daß die letztere die maßgebendere
gewefen fei: die gleiche Stützfunktion hätte ja auch durch eine künitlerilch ganz anders wir-
kende Anordnung erreicht werden können.